Der Rote Wolf
heraus?«
»Ich habe nichts gesagt«, antwortete Annika. »Ich werde die Sache auf meine Art lösen.«
»Was soll das denn heißen? Natürlich musst du mit ihm reden.«
Annika sah auf.
»Ich weiß, dass er darüber nachdenkt, mich und die Kinder zu verlassen. Er lügt mich auch an. Und immerhin hat er seine frühere Frau auch schon betrogen.«
»Mit wem?«
Annika versuchte zu lachen, aber stattdessen stiegen ihr Tränen in die Augen.
»Mit mir«, brachte sie heraus.
Anne Snapphane seufzte schwer und sah sie an.
»Du musst mit ihm reden.«
»Und dann höre ich auch noch Engel«, sagte Annika. »Sie singen für mich, manchmal reden sie auch mit mir. Sobald ich gestresst bin, legen sie los.«
Annika schloss die Augen und sang leise ihre melancholischen Lieder:
Sommerwinde Sehnsuchtsherz Goldregenlilien …
Anne Snapphane packte sie an den Schultern und drehte sie zu sich um.
»Du brauchst Hilfe«, sagte sie. »Hörst du, Annika! Du kannst doch nicht mit irgendwelchen Gestalten in deinem Oberstübchen rumlaufen.«
Sie schüttelte Annika heftig.
»Du darfst dich jetzt nicht fallen lassen, Annika, hörst du, was ich sage?«
Annika löste sich aus dem Griff ihrer Freundin.
»Das ist schon okay«, sagte sie leise. »Sie verschwinden, wenn ich an etwas Konkretes denke, arbeite und so. Wolltest du nun einen Kaffee oder nicht?«
»Grünen Tee, falls du welchen hast.«
Annika ging mit seltsam holprigen Schritten in die Küche, spürte die verblüffte Skepsis der Engel, sie hatte ihre Schar bloßgestellt. Damit hatten sie nicht gerechnet. Die Engel hatten in der Gewissheit gelebt, ewig singen und trösten und sie terrorisieren zu dürfen, ohne dass jemand etwas davon erfuhr.
Sie goss Wasser in den kleinen Kupferkessel und zündete den Gasherd an.
Trostsehnsucht,
sangen sie jetzt mit schwachen und einsamen Stimmen,
kleine Tochter Sonnenscheinliebling …
Sie schlug sich mit der flachen Hand seitlich an den Kopf, um sie zum Schweigen zu bringen.
Anne kam auf Strümpfen in die Küche. Ihr Gesicht hatte etwas Farbe bekommen, ihre Augen waren forschend.
Annika versuchte zu lächeln.
»Ich glaube, im Grunde versuchen sie mich zu trösten«, sagte sie. »Sie singen nur nette Sachen.«
Sie ging zur Speisekammer und suchte im Halbdunkel nach einem Tee, den man zur Not grün nennen könnte.
Anne Snapphane setzte sich an den Küchentisch, und Annika spürte ihren Blick im Rücken.
»Das bist du selbst«, sagte Anne. »Begreifst du das nicht? Du tröstest dich selbst, du kümmerst dich um das kleine Kind, das irgendwo in deinem Inneren steckt. Hat dir jemand solche Sachen vorgesungen, als du klein warst?«
Annika verkniff sich einen bissigen Kommentar über Amateurpsychologie und fand tatsächlich einen japanischen Tee zur Förderung der Verdauung, den ihr jemand auf der Arbeit geschenkt hatte.
»Willst du wirklich umziehen?«, fragte sie und ging zum Herd zurück, auf dem das Wasser gerade kochte. »Ich kann dir Kungsholmen wirklich wärmstens empfehlen, wir Inselbewohner sind schon etwas Besonderes.«
Anne pickte ein paar übrig gebliebene Brotkrumen auf und dachte nach, ehe sie antwortete.
»Irgendwie habe ich immer geglaubt, Mehmet würde früher oder später zu uns rausziehen, oder wir würden uns bis in alle Ewigkeit treffen. Er gehörte einfach dazu, und ohne ihn passt es einfach nicht mehr. Es ist nur noch langweilig und weit ab vom Schuss, und dieser alte Spanner auf der unteren Etage, der immer versucht, mir unter den Bademantel zu gucken, wenn ich die Zeitung hole, ist wirklich unangenehm.«
»Also, was bedeutet dir am meisten?«, fragte Annika und goss Wasser durch das Sieb in die Tasse.
»Miranda«, antwortete Anne, ohne zu zögern. »Obwohl mir schon klar ist, dass ich keine Märtyrerin werden und alles, was mir wichtig ist, ihr zuliebe aufgeben kann, aber das Haus auf Lidingö hat mir andererseits nie sonderlich viel bedeutet. Den funktionalistischen Stil habe ich zwar schon ganz gern, aber ich werde auch ohne die richtige Wohnungseinrichtung überleben.«
»Du könntest, falls nötig, mit ein paar Jugendstilelementen leben?«, sagte Annika und stellte die Tassen auf den Tisch. »Sogar mit Nationalromantik.
Prost.«
Annika setzte sich Anne gegenüber und sah sie auf den heißen Tee pusten.
»Also Östermalm?«
Anne nickte und verzog das Gesicht zu einer Grimasse, als sie sich die Zunge verbrannte.
»So nahe wie möglich, damit sie zu Fuß zwischen uns hin und her gehen kann.«
»Wie
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