Der Rote Wolf
unser Ragnwald nicht.«
»Er hilft bei der Weinernte und pflückt Apfelsinen, und in seiner Freizeit erschießt er Politiker.«
»Wenn er nicht gerade Schauermann oder Grubenarbeiter ist oder etwas anderes macht, bei dem man unsichtbar bleiben kann und so gut wie kein Geld verdient.«
Sie schwiegen eine Weile.
»Aber warum haben Sie ihn nicht jetzt festgenommen, bei seiner Rückkehr nach Schweden?« Q seufzte schwer.
»Das ist leider nicht so leicht, wie Sie glauben«, sagte er. »Mörder, die wahllos zuschlagen, sind am schwersten zu ergreifen. Denken Sie doch nur an den so genannten Lasermann. Im Laufe von anderthalb Jahren schoss er auf zehn willkürlich ausgewählte Personen in Stockholm, ehe er gefasst werden konnte, und dabei wohnte er mitten in der Stadt, benutzte sein eigenes Auto, grüßte seine Nachbarn im Treppenhaus und war, mit anderen Worten, ein verdammter Amateur. Der Kerl, mit dem wir es hier zu tun haben, hat nach unseren Erkenntnissen vier Menschen umgebracht. Es gibt nichts, was sie miteinander verbindet, außer der Tatsache, dass der Junge Zeuge des ersten Mordes war. Die Vorgehensweise ist jedes Mal eine ganz andere. Ekland wurde überfahren, dem Jungen die Kehle durchgeschnitten, Sandström erschossen. Es konnten keine Fingerabdrücke gesichert werden, an jedem Tatort haben wir andere Stofffasern gefunden.«
»Aber das heißt doch im Grunde nur, dass er immer anders gekleidet war und Handschuhe trug.«
»Stimmt«, sagte »Keine Zeugen?«
»Der beste Zeuge, will sagen, der Junge, ist tot. Ansonsten ist nichts aufgetaucht, was uns wirklich weitergebracht hätte.« Annika rief sich noch einmal seine letzten Sätze in Erinnerung. »Sie sagten vier.«
Q tat, als wüsste er nicht, was sie meinte. »Bitte?«
»Es hat also einen weiteren Mord gegeben«, sagte sie und setzte sich im Bett auf. »Er hat wieder zugeschlagen. Wie? Wer ist das Opfer?«
»Sie müssen sich verhört haben. Ich sagte drei.«
»Ach, hören Sie doch auf«, erwiderte Annika. »In den letzten Tagen ist jemand ermordet worden, und die Angehörigen haben ein Mao-Zitat zugeschickt bekommen. Entweder sagen Sie mir jetzt ganz genau, was passiert ist, oder ich hänge mich ans Telefon und finde es selbst heraus.«
Er lachte auf.
»Netter Versuch«, sagte er. »Wenn wirklich jemand ermordet worden wäre, würden die Medien doch schon längst wie die Geier über der Geschichte kreisen.«
Sie beantwortete sein Lachen mit einem Schnauben.
»Unsinn«, sagte sie. »Nicht, wenn es eine Frau war, die ermordet wurde. Ihr Alter sitzt vermutlich schon in Untersuchungshaft, und es würde mich wundern, wenn die Lokalzeitung überhaupt die Standardnotiz gebracht hätte.«
»Die Standardnotiz?«
»Ehestreit endete in Tragödie. Äußerst unappetitlich, vollkommen uninteressant, kein Schreibfutter. Wenn Sie mir sagen, was Sie wissen, können wir einen Deal machen.«
Q schwieg und schien das Für und Wider abzuwägen.
»Ich habe das schon einmal gesagt«, meinte er schließlich. »Sie sind verdammt noch mal gespenstisch. Wie zum Teufel konnten Sie das wissen?«
Annika ließ sich wieder in die Kissen fallen, und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.
»Und es gibt keinerlei Verbindung zwischen ihr und den anderen drei?«
»Jedenfalls haben wir bislang keine gefunden. Margit Axelsson, Vorschullehrerin in Pitea, verheiratet, zwei erwachsene Töchter, erdrosselt im Flur in der oberen Etage ihres Einfamilienhauses. Der Mann arbeitet im Schichtdienst und hat sie tot aufgefunden, als er von der Arbeit nach Hause kam.«
»Und wurde unmittelbar darauf wegen Mordverdachts verhaftet?«
»Falsch. Der Zeitpunkt des Todes war vor Mitternacht, und er saß bis 01.30 Uhr mit seinen Kollegen in der Einsatzzentrale von F21, dann war seine Schicht beendet.«
Annika fuhr abrupt auf.
»F21? Er arbeitet auf F21? Aber dann gibt es doch einen Zusammenhang. Den Anschlag auf das Militärflugzeug.«
»Haben wir alles schon überprüft. Seinen Wehrdienst hat er auf 119 in Boden geleistet, auf dem Fliegerhorst fing er erst 1974 an. Die Tatsache, dass der Arbeitgeber des Ehemanns eines Mordopfers identisch ist mit einem Tatort, der möglicherweise eine Verbindung zu Ragnwald hat, reicht nicht aus, um mein Herz schneller schlagen zu lassen. Ihnen geht es offensichtlich anders.«
»Wie ist der genaue Wortlaut des Zitats?«, sagte sie. »Einen Moment …«
Er legte den Hörer ab, zog eine Schublade auf, raschelte mit Blättern, räusperte sich und kehrte
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