Der Rote Wolf
Björnlund hob ihre Tasche von der Erde auf und ging in das kleine Backsteinhaus, während der Revolver auf ihren Rücken gerichtet war. Göran Nilsson blieb stehen, sah sie durch die Tür im Hausinneren verschwinden, steckte die Waffe wieder in die Tasche, drehte sich um und stolperte zu dem Sack, der an die Hauswand gelehnt war.
Annika holte tief Luft, sie hatte mehr als genug gehört. Mit leichten und vorsichtigen Schritten bewegte sie sich auf dem Trampelpfad zurück, gelangte wieder auf den Weg und warf einen letzten Blick in den Wald, um der Polizei den Ort genau beschreiben zu können.
Da bewegte sich etwas, jemand kam auf sie zu. Sie sah sich in Panik um.
Etwa zehn Meter hinter ihr stand ein Blechkasten, aus dessen Unterseite jede Menge dicker Kabel herabhingen. Hinter dem Schrank war ein Dickicht aus jungen Fichten. Annika rannte dorthin, berührte kaum den knirschenden Untergrund, versteckte sich zwischen den stechenden Nadeln, schob mit den Händen zwei Zweige auseinander und lugte durch die entstandene Öffnung.
In der bleichen Beleuchtung der Eisenbahnschienen näherte sich der graue Mann und schleppte den Sack hinter sich her, der sehr schwer zu sein schien.
Sekundenlang stand er regungslos auf dem glatten Weg, legte einen Arm auf seinen Bauch und krümmte sich. Der Atem kam in keuchenden Schüben aus seinem Mund. Annika streckte den Hals, um besser sehen zu können. Eine Zeit lang hatte es den Anschein, als würde der Mann jeden Moment vornüberfallen.
Dann atmete er allmählich wieder ruhiger, richtete sich auf und ging unsicher ein paar Schritte weiter. Im nächsten Moment sah er direkt in Annikas Richtung.
Erschrocken ließ sie die Zweige fahren, die sie zur Seite geschoben hatte, drehte sich um und legte die Hand vor ihren Mund, um die Atemgeräusche und den weißen Atem zu verbergen. So blieb sie regungslos in der Dunkelheit stehen, während der Mann langsam auf sie zukam. Sein Schnauben und die knarrenden Schritte wurden immer lauter, kamen immer näher, bis sie glaubte, schreien zu müssen. Sie schloss die Augen und hörte, wie er etwa einen Meter von ihrem Rücken entfernt auf der anderen Seite der Wand aus jungen Fichten stehen blieb.
Dann ein Scharren. Sie schlug die Augen auf.
Metall kratzte auf Metall. Annika hielt die Luft an und horchte.
Der Mann öffnete offenbar die Türen des großen Blechkastens mit den vielen Kabeln. Sie hörte sein Keuchen, spürte, dass sie selbst endlich wieder Atem holen musste, und schnappte schnell und möglichst lautlos nach Luft. In der nächsten Sekunde hätte sie sich beinahe übergeben.
Der Mann stank. Verwesungsgeruch drang durch die Zweige, sodass sie schnellstens wieder die Hand über ihr Gesicht legte.
Er stöhnte und mühte sich auf der anderen Seite der Fichten mit etwas ab, das Scharren ging weiter, verstummte dann jedoch. Sie hörte ein Quietschen, gefolgt von einem Klicken.
Zehn Sekunden erleichterte Atemzüge, dann entfernten sich die Schritte wieder.
Annika drehte sich um und schob die Zweige zur Seite. Der Mann bewegte sich wieder in den Wald hinein. Der Seesack war verschwunden.
Er hat ihn in den Kasten gestellt, dachte sie.
Das Unterholz verschluckte ihn, radierte seine Gegenwart in dem schwachen Licht aus. Annika richtete sich auf und huschte über den Weg, am Waldsaum zögerte sie. Dann machte sie schnell kehrt, bewegte sich so leise wie möglich den schmalen Weg hinauf, lief, so schnell sie konnte, unter der Überführung zum Skanska-Haus, ließ den leeren Parkplatz hinter sich und bemerkte auf einmal, dass ihr jemand entgegenkam.
Abrupt blieb sie stehen, schaute sich um, sprang in den Wald und versank bis zum Kinn im Schnee.
Ein Mann näherte sich. Er trug keine Kopfbedeckung und war nur mit einer Jeans und einer dünnen Jacke bekleidet. Seinem holprigen Gang und seinen unsteten Bewegungen waren viele Jahre übermäßigen Alkoholkonsums anzusehen, ganz offensichtlich war es ein Penner.
Wenige Sekunden später war er hinter dem Skanska-Haus verschwunden, und sie konnte wieder auf den Weg treten und lief weiter, ohne sich den Schnee abzuklopfen.
Zunächst konnte sie ihren Mietwagen nicht finden und geriet für einen Moment in Panik, bis sie ihn dann doch hinter dem Autowrack entdeckte. Sie öffnete die Tür, ließ sich auf den Fahrersitz fallen, zog die Handschuhe aus und griff nach dem Handy. Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie Mühe hatte, Kommissar Suups Durchwahl einzutippen.
»Karlsson,
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