Der Rote Wolf
sagte er. »Übrigens, warum gehen Sie eigentlich nicht an Ihr Handy?« »Ich bekomme hier oben kein Netz. Gute Nacht.« Sie reichte das Telefon zurück. »Kann ich jetzt bitte einchecken?«
Die Gittertür des Aufzugs ging schwer, und Annika musste sich anstrengen, um sie öffnen zu können. Sie stolperte in die vierte Etage hinaus, und der schwere Teppichboden schluckte das Geräusch ihrer Schritte.
Zu Hause, dachte sie, jetzt bin ich endlich zu Hause.
Das Business-Zimmer lag links. Der Hotelflur schaukelte sacht hin und her, zwei Mal musste sie sich an der Wand abstützen. Sie fand ihr Zimmer, steckte ihre Karte in den Schlitz und wartete auf das Aufleuchten des grünen Lämpchens.
Ein leises Säuseln empfing sie, schmale Lichtstreifen drangen an den Rändern der geschlossenen Vorhänge ins Zimmer. Sie zog die Tür hinter sich zu, die mit einem gut geölten Klicken ins Schloss fiel, ließ ihre Tasche zu Boden sinken und schaltete das Licht an.
Auf ihrem Bett saß Hans Blomberg.
Sie erstarrte zu Eis, ihr Körper war wie gelähmt, sie konnte nicht mehr atmen.
»Guten Abend, kleines Fräulein«, sagte der Archivar und richtete eine Pistole auf sie.
Sie starrte den Mann an, seine graue Strickjacke und sein gutmütiges Gesicht, und versuchte klar zu denken.
»Das hat aber lange gedauert. Ich warte schon seit Stunden.«
Annika wich einen Schritt zurück und tastete nach der Türklinke.
Hans Blomberg stand auf.
»Das würde ich lieber sein lassen, meine Liebe«, sagte er. »Mein Finger am Abzug juckt schon.«
Annika blieb stehen und ließ den Arm sinken.
»Das glaube ich Ihnen gern«, sagte sie, und ihre Stimme war hell und sehr dünn.
»Jedenfalls haben Sie bisher nicht gezögert.« Er lachte kurz auf.
»Wohl wahr«, erwiderte er. »Wo ist das Geld?« Sie stützte sich an der Wand ab.
»Was?«
»Das Geld! Das Erbe des Drachen!«
»Wie kommen Sie darauf, dass es irgendwo Geld gibt, und warum sollte ausgerechnet ich wissen, wo es ist?«
»Die kleine Annika Amateurdetektivin, die überall herumschnüffelt. Wenn es jemand weiß, dann Sie.«
Der Mann trat mit einem einschmeichelnden Lächeln zu ihr, und sie starrte in sein Gesicht.
»Warum haben Sie diese Menschen getötet?«
Er blieb stehen und legte den Kopf schief.
»Wir sind im Krieg«, erklärte er. »Sie sind doch Journalistin, ist Ihnen da etwas entgangen? Der Krieg gegen den Terrorismus? Das muss doch bewaffneter Kampf von beiden Seiten bedeuten, oder etwa nicht?«
Er lachte selbstzufrieden.
»Das war nicht meine Idee«, sagte er, »aber auf einmal scheint es legitim zu sein, Diktatoren und falsche Autoritäten aus dem Weg zu räumen, und davon gibt es allerorten mehr als genug.«
Er sah sie an und lächelte.
»Als Journalistin, Annika, kennen Sie doch sicher die Redewendung
Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah}
Es gibt überall Storys, warum also in der Ferne suchen? Mit den falschen Autoritäten ist es genauso, warum weiter weg Ausschau nach ihnen halten als unbedingt nötig?«
»Und Benny Ekland war so eine falsche Autorität?«
Hans Blomberg wich zurück, setzte sich wieder aufs Bett und bedeutete ihr mit einem Winken der Pistole, sich an den Schreibtisch zu setzen. Sie gehorchte und ließ die Polarjacke neben dem Stuhl zu Boden fallen.
»Das haben Sie falsch verstanden«, meinte der Archivar. »Hans Blomberg ist nur mein Deckname. Eigentlich bin ich der Schwarze Panther, und ich bin niemals jemand anders gewesen.«
Er nickte, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, während Annika fieberhaft nach etwas suchte, das ihn aus der Fassung bringen konnte.
»Das stimmt aber nicht ganz«, sagte sie. »Sie haben durchaus versucht, auch als Hans Blomberg Ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. All diese Artikel aus dem Landtag, die immer ganz unten auf Seite 22 erschienen, was ist mit denen?«
Für einen Moment zeigte sich Wut in seinem Gesicht.
»Das war meine Art, bis zur Rückkehr des Drachen eine bürgerliche Fassade zu wahren. Er hatte uns versprochen, dass er kommen würde, und seine Rückkehr war das Signal.«
Dann lächelte er wieder.
»Benny hat dafür gesorgt, dass ich ins Archiv abgeschoben wurde. Aber ich möchte nicht nachtragend sein, denn am Ende habe ich ja doch gewonnen.«
»Aber warum der Junge?«
Hans Blomberg schüttelte betrübt den Kopf.
»Es war traurig, dass er verschwinden musste, aber der Krieg fordert immer zahlreiche zivile Opfer.«
»Weil er Sie erkannt hat? Weil Sie Kontakt zu
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