Der Rote Wolf
mindestens zu gleichen Teilen ihre Arbeit und ihr Verdienst, genauso wie die Diskussion über die Untersuchung des Wertesystems.
»Ich muss schon sagen«, meinte Sophia Grenborg und stellte sich neben ihn, »du warst heute wirklich fantastisch.«
Er blickte erstaunt auf und spürte, dass ihm Schweiß auf die Stirn trat.
Sie schien nicht sauer auf ihn zu sein. Ihre Augen strahlten. »Danke«, sagte er.
»Du verstehst es wirklich, Fragen aufzuwerfen und Vorschläge durchzusetzen«, meinte sie und trat noch einen Schritt näher. »Du bringst alle auf deine Seite, auch das Justizministerium.«
Verlegen sah er wieder zu Boden.
»Es ist ein wichtiges Projekt.«
»Ich weiß«, sagte sie, »und man merkt dir an, wie wichtig es dir ist. Ich freue mich wirklich sehr darüber, mit dir zusammenarbeiten zu dürfen …«
Benebelt von ihrem Parfüm, schnappte er nach Luft.
»Schönes Wochenende«, sagte er, packte seine Aktentasche und eilte zur Tür.
Mit einem ausgenommen mulmigen Gefühl im Bauch wählte Annika Kommissar Suups Durchwahl, die sie dank ihrer Überredungskünste der Telefonistin des Polizeipräsidiums abgerungen hatte. Der Polizeibeamte hatte bei ihrem Gespräch am Vormittag äußerst seltsam geklungen. Hatte er vielleicht bereut, sie über Ragnwald informiert zu haben, obwohl er wusste, dass die Information am nächsten Tag eventuell in der Zeitung stehen würde? Fühlte er sich hintergangen?
Mit schweißnassen Händen wartete sie, bis er abnahm.
»Was ist passiert?«, fragte sie zaghaft, als er an den Apparat ging.
»Etwas sehr Trauriges«, antwortete der Polizist. »Linus Gustafsson ist tot.«
Sie war erleichtert, der Name sagte ihr nichts.
»Wer ist das?«, fragte sie.
»Der Zeuge«, erwiderte Suup, und sie begriff augenblicklich. Innerhalb von Sekundenbruchteilen verdrängten Schuldgefühle all ihre Gedanken, und sie hörte sich selbst aufstöhnen.
»Wie ist das passiert?«
»Jemand hat ihm in seinem Zimmer die Kehle durchgeschnitten. Seine Mutter fand ihn in einer Blutlache, als sie heute Morgen von der Schicht nach Hause kam.«
Annika schüttelte heftig den Kopf.
»Das darf einfach nicht wahr sein«, flüsterte sie.
»Wir haben natürlich den Verdacht, dass die beiden Todesfälle miteinander in Verbindung stehen, wissen aber noch nicht, wie. Der einzige gemeinsame Nenner ist bislang, dass der Junge den Mord an Benny Ekland beobachtet hat.
Der Tathergang ist in seinem Fall jedoch völlig anders.«
Annika hatte die rechte Hand auf die Augen gelegt und spürte einen Druck auf der Brust, der ihr das Atmen schwer machte.
»Ist es meine Schuld?«, brachte sie heraus.
»Was haben Sie gesagt?«
Sie räusperte sich.
»Linus hat mir erzählt, er habe den Mörder vielleicht erkannt«, erklärte sie. »Hat er Ihnen gesagt, wen er zu sehen geglaubt hat?«
Die Stimme des Kommissars klang völlig überrascht.
»Das höre ich zum allerersten Mal«, sagte er. »Sind Sie sicher?«
Sie zwang sich, logisch zu denken und sich ihrer journalistischen Verantwortung zu stellen.
»Ich habe dem Jungen völlige Anonymität versprochen«, überlegte sie laut.
»Gilt das auch noch, wenn er tot ist?«
»Das spielt keine Rolle, er ist aus freien Stücken zu uns gekommen, wodurch Sie Ihrer Schweigepflicht entbunden sind«, sagte der Polizist, und Annika wusste, dass er Recht hatte. Sie atmete auf.
»Als ich mit ihm sprach, meinte er, er habe den Mörder vielleicht erkannt, aber das habe ich in meinem Artikel nicht erwähnt. Ich fand es unnötig, es an die große Glocke zu hängen.«
»Gut gedacht«, meinte der Polizeibeamte. »Nur leider hat es nichts genutzt.«
»Könnte er sonst jemandem erzählt haben, wen er gesehen hat?«
»Die Frage haben wir bisher nicht gestellt, werden das aber unverzüglich nachholen.«
Die Stille nach Suups letzten Worten wurde beklemmend, und Annika hatte das Gefühl, dass ihre Verantwortung für das Vorgefallene das Gespräch blockierte.
»Ich fühle mich schuldig«, sagte sie.
»Das kann ich nachvollziehen«, erwiderte der Polizist, »aber es trifft Sie wahrlich keine Schuld. Eine andere Person sollte sich hier schuldig fühlen, und die werden wir dingfest machen. Das verspreche ich Ihnen.«
Sie strich sich über die Augen und dachte nach.
»Also, was werden Sie tun? Von Haustür zu Haustür gehen? Nach Fingerabdrücken suchen? Nach den Spuren von Füßen, Autos, Mopeds?«
»All das und noch einiges mehr.«
»Freunde, Lehrer, Nachbarn verhören?«
»Zunächst
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