Der Rote Wolf
Bewegung inne und betrachtete die Broschüren in seiner Aktentasche, die er selbst hatte überreichen wollen. Nun erschien das ganze Projekt, für das auch er verantwortlich gezeichnet hatte, als Verdienst Sophias und des Landtagsverbands.
Er schlug die Aktentasche zu.
»Natürlich«, sagte er kurz und spürte, dass sein Lächeln ein wenig abkühlte. »Du kannst euren Web-Administrator bitten, Kontakt mit unserem aufzunehmen. Wir haben den ganzen Inhalt ins Internet gestellt, das solltet ihr vielleicht auch tun.«
Ihre Finger bewegten sich leicht nervös, sie zeigte zum Konferenzraum.
»Ja, ich weiß«, sagte sie.
Per Cramne, der Vertreter des Justizministeriums, erhob sich, als Thomas den Raum betrat, eilte auf ihn zu und begrüßte ihn herzlich.
»Ich muss wegen gestern Abend wirklich vielmals um Entschuldigung bitten«, sagte er, »aber diese verdammte Europawahl …«
Thomas legte die Aktentasche auf den Tisch und hob beide Hände.
»Kein Problem«, versicherte er. »Wir hatten ja noch andere Dinge zu besprechen. Der Gemeindetag und der Landtagsverband veranstalten im Frühjahr einen gemeinsamen Kongress, auf dem wir eine Fusion der beiden Verbände diskutieren werden, und ich bin einer der Kongressdelegierten, sodass …«
Zu spät erkannte er seinen Fehler. Cramnes Blick hatte bereits etwas Verkrampftes und Eingefrorenes bekommen, nichts konnte ihn weniger interessieren als eine verdammte Fusion von irgendwelchen verdammten Verbänden.
»Sind jetzt alle da?«, sagte Cramne und wandte sich ab. »Dann legen wir mal mit Volldampf los. Es ist immerhin Freitag.«
Thomas holte seine Unterlagen heraus und vermied es bewusst, in die Runde zu schielen, um zu sehen, ob jemand den peinlichen Zwischenfall bemerkt hatte.
Cramne fing natürlich an, das Justizministerium stand immer an der Spitze der Hierarchie, der Abgesandte der Polizeiführung verzichtete ebenso auf eine Stellungnahme wie die Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft und der Sicherheitspolizei. Stattdessen ergriff Thomas die Initiative und stellte das Faltblatt vor, das man entwickelt hatte, und präzisierte bei der Gelegenheit die Argumente dafür, warum die häufiger werdenden Bedrohungen von Volksvertretern eine schwerwiegende Gefahr für die Demokratie darstellten, und griff die Änderungen und die Richtlinien für die weitere Arbeit auf. Er informierte über die Gespräche, die er in den Morgenstunden mit dem Rat zur Verbrechensprophylaxe gehabt hatte, nickte dabei dem anwesenden Delegierten zu und beschrieb den Entwurf, den man nun angefertigt hatte.
»Ich bin der Meinung, dass wir eine Untersuchung des Wertesystems unserer Gesellschaft benötigen«, sagte er. »Wir haben es hier mit einem Problem zu tun, das uns alle angeht. Nicht nur alle Politiker, sondern alle Bürger. Deshalb müssen wir uns dem Thema auf breiter Front widmen. Wie steht unsere Gesellschaft zu Drohungen und Gewalt gegen demokratisch gewählte Volksvertreter? Wie bewerten wir Versuche, Politiker zum Schweigen zu bringen? Und schließlich, kann man diese Bewertungen durch Aufklärungsarbeit verändern?«
Er drehte ein Blatt um und bemerkte, dass er die uneingeschränkte Aufmerksamkeit der gesamten Gruppe genoss.
»Ich denke, wir sollten versuchen, in der Presse eine Debatte in Gang zu setzen«, sagte er, »etwas gute alte Meinungsbildung zu betreiben. Artikel, die den Lokalpolitiker als Helden unserer Zeit zeigen, Beispiele für Menschen, die gegen Rechtsextremismus und Anarchismus kämpfen, jedoch, ohne dabei zu übertreiben und all jene zu verschrecken, die sich in der Politik engagieren wollen …«
Man war sich rasch einig, die vorgeschlagene Analyse des Wertesystems unter Thomas' Leitung durchzuführen. Dazu sollte begleitendes Pressematerial entwickelt und parallel zur Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse von der Pressestelle des Gemeindetags herausgegeben werden.
Thomas rundete die Besprechung mit einer Anekdote über einen Stadtrat aus Jämtland ab, die immer für einen Lacher gut war. Anschließend packte man schnell zusammen, und in weniger als einer Minute waren alle anderen verschwunden.
Es war eben Freitagnachmittag.
Er blieb mit seinen Blättern zurück und sortierte seine Notizen, während Sophia das liegen gebliebene Material wieder einsammelte. Thomas wusste nicht, wie er damit umgehen sollte, dass er heute jegliche Initiative an sich gerissen und ihr keine Gelegenheit gelassen hatte, ebenfalls zu Wort zu kommen. Das Faltblatt war
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