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Der Rote Wolf

Der Rote Wolf

Titel: Der Rote Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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einholte, und krallte sich mit den Händen an der Schreibtischplatte fest.
    Es war ihr Fehler, oh, Gott, sie hatte den Jungen überredet auszupacken.
    Sie trug einen Teil der Schuld, ihre Ambitionen waren für das Schicksal des Jungen von entscheidender Bedeutung gewesen. Es tut mir so Leid, dachte sie.
    Bitte verzeih mir.
    Danach fühlte sie sich ein wenig erleichtert, der Druck in den Lungen wurde schwächer, die verkrampften Hände lockerten ihren Griff. Sie merkte, dass ihre Finger wehtaten.
    Sie musste unbedingt mit der Mutter sprechen, nicht jetzt, aber später.
    Es gab eine Zukunft, morgen war ein neuer Tag, wenn sie es nur zuließ.
    Wer lange genug am Ufer des Flusses sitzen bleibt, sieht mit der Zeit die meisten seiner Feinde vorbeitreiben.
    Sie schluchzte auf und musste gleichzeitig über das chinesische Sprichwort lächeln, das Anne Snapphane oft zum Besten gab.
    Man stirbt nicht, dachte sie. Es fühlt sich nur so an.
    Sie sortierte ihre Blätter.
    Der Chefredakteur stand mit einem Computerausdruck in der Hand am Fenster und starrte auf die russische Botschaft hinunter. Annika schielte zum Konferenztisch, aber heute hatte er seine Verkaufszahlen und Säulendiagramme zumindest zusammengerollt.
    »Nehmen Sie Platz«, sagte er, wandte sich von der Aussicht ab und zeigte auf einen Besuchersessel.
    Annika setzte sich. Sie fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut.
    »Ich habe Ihre Entwürfe zu Ragnwald gelesen«, meinte Anders Schyman, »und mir ist klar geworden, was Sie meinten, als Sie mir schrieben, es wäre weniger ein Artikel als eine Idee.«
    Annika schlug die Beine übereinander, verschränkte die Arme und erkannte gleich, dass sie ihren Körper so in eine totale Verteidigungshaltung brachte. Also versuchte sie sich zu entspannen und ließ Arme und Beine stattdessen hängen.
    »Darüber hinaus habe ich so meine Zweifel an dem Artikel, den Sie über den Mord an Benny Ekland geschrieben haben. Er war in einer Art und Weise spekulativ, die mir nicht sehr glücklich erschien.«
    Jetzt konnte sie doch dem Drang nicht länger widerstehen, ihre Arme vor der Brust zu verschränken.
    »Wie meinen Sie das?«
    Schyman lehnte sich zurück, sein Hemd stand am Bauchnabel ein wenig offen.
    »Ich glaube, dass Sie die Sache mit dem Terrorismus ein wenig überbewerten«, sagte er. »Nicht jeder Kriminelle ist gleich ein Terrorist, nicht jede Gewalttat ist ein Akt des Terrors. Wir müssen uns in der Journalistik um etwas Distanz und Relevanz bemühen, statt inflationär dick aufzutragen. Wir werden die wirklichen Terrorworte noch früh genug für wirkliche Terroranschläge brauchen, vielleicht sogar früher, als wir ahnen …«
    Sie hörte sich laut und ironisch ausatmen und breitete die Arme aus.
    »Ich bitte Sie«, sagte Annika, »predigen Sie mir keine Presseethik.«
    Er biss die Zähne so fest zusammen, dass an seinem Hals eine Ader hervortrat.
    »Ich predige nicht, ich möchte nur betonen …«
    Annika lehnte sich vor, das Blut schoss ihr in den Kopf.
    »Ich habe geglaubt, Sie würden meine Arbeit als freie Reporterin unterstützen«, sagte sie, »und sich darauf verlassen, dass ich selbst beurteilen kann, was wichtig ist und was nicht.«
    »Annika, glauben Sie mir, das tue ich auch, aber …«
    »Es steckt etwas hinter dieser Geschichte, ich spüre es, dieser Typ ist auf etwas gestoßen, das er besser nicht gewusst hätte.«
    »… wenn ich jetzt bitte einmal ausreden dürfte, möchte ich nochmals unterstreichen, dass Sie in Ihrer Rolle meine volle Unterstützung haben, aber ich bin letzten Endes immer noch der verantwortliche Herausgeber, ich treffe die Entscheidung, ob wir jemanden als Terroristen bezeichnen oder nicht, und deshalb teile ich Ihnen nur meine Einstellung mit, damit Ihnen eine Menge unnötiger Arbeit und Reisen erspart bleibt.«
    Annika war mitten in der Bewegung erstarrt, halb aufgerichtet lehnte sie sich mit offenem Mund und rotfleckigem Gesicht über den Tisch des Chefredakteurs. In der Stille, die seinen Worten folgte, suchte sie rasend vor Wut nach Lösungen und Erklärungen.
    »Es ist Spiken«, sagte Annika. »Hat Spiken etwas über meine Reisen gesagt?«
    Schyman seufzte und stand auf.
    »Ganz und gar nicht. Ich weise nur daraufhin, dass Terrorismus und Terroranschläge in der letzten Zeit den größten Teil Ihrer Arbeitszeit in Anspruch nehmen.«
    »Das Thema ist letztes Jahr auch, gelinde gesagt, recht aktuell gewesen.«
    Annika setzte sich, und der Chefredakteur ging an ihrem Stuhl vorbei zum

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