Der Rote Wolf
vorkommenden Gebäude in der Övre Slottsgatan, von dem die Farbe leicht abblätterte. Auf einmal befand er sich wieder in der Vergangenheit, aber damals war das Haus neu gewesen, nie zuvor hatte er ein so modernes Haus gesehen, das Haus der Studentenschaft von Uppsala für Zusammenkünfte und Informationsveranstaltungen.
Hier hatte er sein Zuhause gefunden, seine geistige Heimat, das Unvollendete und Entgleitende entdeckt, das er während der großen Zeltandachten und endlosen Gottesdienste der sittenstrengen Laestadianer niemals hatte finden können. Hier, an diesem Ort, stieß er zum ersten Mal auf die Worte des Meisters:
Völker der ganzen Welt, vereinigt euch, besiegt die USA-Aggressoren und all ihre Lakaien! Völker der ganzen Welt, seid mutig, habt Mut zu kämpfen, fürchtet keine Schwierigkeiten, stürmt Welle auf Welle vorwärts, und die ganze Welt wird den Völkern gehören. Alle finsteren Mächte werden restlos vernichtet werden.
Er schloss seine Augen, und plötzlich war es schwarz um ihn und in ihm, es war wieder späte Nacht wie damals, vom Wind durchtost und kalt, er war eine einsame Insel im Nachtmeer, festgewachsen, während die Ekstase und der Applaus durch ein beschlagenes Fenster, das einen Spaltbreit offen stand, aus dem modernen Haus ins Freie rollten. Maos Worte wurden zu Lichtern in der Dunkelheit, vorgetragen von zittrigen Jünglingsstimmen und aufgenommen mit einer Euphorie, die keinen Zweifel kannte:
Die Völker des sozialistischen Lagers sollen sich zusammenschließen, die Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas sollen sich zusammenschließen, die Völker aller Kontinente sollen sich zusammenschließen, alle friedliebenden Länder sollen sich zusammenschließen, alle Länder, die unter der Aggression, der Kontrolle, der Einmischung und der Tyrannei der USA zu leiden haben, sollen sich zusammenschließen; sie sollen die breiteste Einheitsfront herstellen, um die Aggressions- und Kriegspolitik des USA-Imperialismus zu bekämpfen und den Weltfrieden zu verteidigen.
Und unmittelbar darauf kamen sie heraus, verschwitzt, ausgelaugt, glücklich, zufrieden, und er trat zu ihnen, und sie sahen ihn, die Menschen sahen ihn, und sie fragten ihn, ob er ein wahrer Revolutionär sei, und er sagte, ja, Völker der ganzen Welt, vereinigt euch, besiegt die USA-Aggressoren und all ihre Lakaien!
Und sie klopften ihm auf die Schulter und sagten, morgen, Genosse, Laboremus sieben Uhr, und er nickte und blieb mit einer neuen Glut in seiner Seele zurück. Die Landebahn des Lebens wurde unter ihm beleuchtet, und er wusste, dass es nun endlich an der Zeit war, aufzusetzen.
Er seufzte, öffnete die Augen. Es war dunkel geworden, und er ar müde. Bald konnte er wieder seine Medikamente nehmen. Es war relativ weit bis zu dem in Autobahnnähe gelegenen Hotel, in dem er abgestiegen war, und er musste noch den richtigen Bus finden. Anonyme Zimmer in großen Gebäudekomplexen, niemals ein Taxi.
Also ging er zum Hauptbahnhof zurück, eine Hand lag auf dem Bauch, die andere hing herab. Er wusste, dass er fast unsichtbar war.
MONTAG, 16. NOVEMBER
In der Nacht hatte es sich bewölkt. Annika trat mit einem Kind an jeder Hand aus dem Haus und duckte sich unter einem Himmel, der bleischwer unmittelbar über den Häuserdächern zu liegen schien. Unwillkürlich schauderte es sie, und sie zog die Schultern in der rauen Morgenluft hoch.
»Müssen wir zu Fuß gehen, Mama? Können wir nicht Bus fahren? Mit Papa dürfen wir immer Bus fahren.«
Sie nahmen die Linie 40 von der Scheelegatan und fuhren zwei Haltestellen bis zur Fleminggatan. Nachdem sie die Kinder in der Tagesstätte abgeliefert hatte, trat sie mit einem Gefühl der Leere wieder auf die Straße hinaus. Eigentlich hatte sie vorgehabt, zur Zeitung zu laufen, doch jetzt fehlte ihr die Energie dazu, sie hatte einfach keine Lust, durch den trostlosen Schneematsch bis nach Marieberg zu waten. Also stieg sie in die Linie 1, den neuen Gelenkbus, der eine völlige Fehlinvestition war, da sich der Verkehr in der Innenstadt langsamer als sieben Kilometer in der Stunde bewegte und man zu Fuß auf jeden Fall schneller war, aber sie bekam einen Fensterplatz in der hintersten Reihe. Annika sah durch die vom braungrauen Regenwasser gestreifte Scheibe und ließ sich gemächlich wie in einem Eselskarren im Mittelalter zur Zeitungsfabrik schaukeln.
Wie üblich holte sie sich zwei Tassen Kaffee, bevor sie in ihr Büro ging, schloss die Tür fest hinter sich und zog, so gut es
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