Der rote Würfel
Seine Frau saß bei ihm und aß das
gleiche wie er. Als er jedoch halb fertig war, begann er zu husten und zu würgen
und bekam keine Luft mehr. Erst jetzt roch er etwas Merkwürdiges auf seinem
Teller. Wutschnaubend wandte er sich seiner Frau zu.
»Was hast du getan?« herrschte er sie an. »Was ist in diesem Fisch?« Erschreckt wich seine Frau zurück. »Bloß ein Stückchen Lamm. Ich dachte,
ein bißchen Abwechslung täte dir gut.«
Da fegte der Fischer mit einer Armbewegung den Teller vom Tisch hinunter.
Sein Zorn kannte keine Grenzen. Noch immer gelang es ihm nicht, Luft zu
holen. Es war, als stecke ihm das Lammfleisch in der Luftröhre und rühre sich
dort nicht von der Stelle.
»Du hast mich vergiftet!« schrie er. »Meine eigene Frau hat mich vergiftet!« »Aber nein! Ich wollte dir doch nur einmal etwas anderes zu essen geben.«
Sie sprang auf und klopfte ihm auf den Rücken, doch auch das half nicht.
»Warum bekommst du denn keine Luft mehr?«
Der Fischer brach zusammen und lief blau an. »Ja, weißt du es denn nicht?«
röchelte er. »Weißt du denn nicht, wer ich bin?«
»Aber du bist doch mein Mann«, schluchzte die Frau und kniete neben ihm
nieder.
»Ich bin…« stieß der Fischer noch hervor. »Ich bin, was ich bin.« Das waren seine letzten Worte. Er starb, und dabei veränderte sich plötzlich
sein Körper. Seine Beine verwandelten sich in große Flossen. Seine Haut
bedeckte sich über und über mit silbrigen Schuppen. Sein Gesicht trat hervor,
und seine Augen wurden leer und kalt. Denn er war gar kein menschliches
Wesen. Er war ein Fisch, und das war er Zeit seines Lebens gewesen. Und als
großer Fisch konnte er sich nur von kleineren Fischen ernähren. Alles andere
war Gift für ihn. An dieser Stelle legte Krishna eine Pause ein. »Verstehst du,
Sita?«
»Nein, Herr.«
»Das macht nichts. Du bist, was du bist. Ich bin, was ich bin. Wir sind gleich
– schon in dem Augenblick, in dem du dich an mich erinnerst.« Krishna nimmt
die Flöte an den Mund. »Möchtest du ein Lied hören?«
»Sehr gerne, Herr.«
»Mach die Augen zu, und hör zu. Das Lied ist immer das gleiche, Sita. Aber
es verändert sich auch jedesmal. Darin liegt das Geheimnis, das Paradoxon. Die
Wahrheit ist in Wirklichkeit immer viel einfacher, als man sie sich vorstellt.« Ich schließe die Augen, und Gott Krishna spielt auf seiner magischen Flöte.
Eine ganze Zeitlang ist dies alles, was zählt. Der Klang seiner verzauberten Flöte schwebt auf einem Windhauch heran, direkt aus dem Herzen des Weltalls stammend. Die Sterne funkeln auf uns herab, das Universum dreht sich langsam um seine Achse, und Ewigkeiten verstreichen. Ich brauche meinen Gott gar nicht vor Augen zu haben und bin doch von seiner Allgegenwart überzeugt. Ich brauche ihn nicht zu berühren und fühle doch seine Hand auf meinem Herzen liegen. Ich brauche überhaupt nichts außer seiner Liebe. Nach einer Weile ist dies alles, was ich spüre: seine göttliche Liebe, die mitten in mein göttliches Wesen hineinströmt. Es ist wahr: Wir sind ein und dasselbe.
13.
KAPITEL
Zusammengekauert liege ich in Andys Kofferraum. Von draußen höre ich die Geräusche vom Gelände, die Wachleute, die am Tor miteinander sprechen. So dunkel es im Kofferraum auch sein mag, ich kann doch etwas erkennen. Zum Beispiel den weißen Laborkittel, den ich anhabe, und die gefälschte Dienstmarke, die auf meiner Brusttasche steckt. Es ist eine alte Marke von Andy. Geschickt habe ich mein Bild über seinem befestigt und den Namen verändert. Ich bin Leutnant Dr. Lara Adams, Mikrobiologin, und mit einem Zeitvertrag vom Pentagon hierhergeschickt worden. Andy zufolge sind jede Menge Wissenschaftler von dort gekommen. Mein Make-up läßt mich älter erscheinen. So müßte ich mich eigentlich unauffällig unter die anderen mischen können.
Am Sicherheitstor halten wir an. Ich höre, wie Andy mit den Wachleuten spricht.
»Wieder die lange Schicht, Harry?« fragt Andy.
»Sieht ganz so aus«, erwidert der Wachmann. »Und du? Arbeitest du bis morgen früh?«
»So ziemlich. Die Nachtschicht ist echt die Härte – ich weiß bald nicht mehr, ob ich komme oder ob ich gehe.« Andy reicht dem Wachmann etwas herüber, eine Karte, die elektronisch eingelesen wird. Um wieder hier herauszukommen, braucht er dann noch eine andere. Auch ich habe eine solche Karte in der Hosentasche stecken. In ganz normalem Tonfall fährt Andy fort: »Wenn ich’s am Kartentisch nur ein klein bißchen besser geregelt bekäme,
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