Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
diesen Titel gegeben. Ich kann die Bestimmung in deinem Wesen spüren.«
»Ich weiß nichts von einer Bestimmung«, antwortet Tenan verwirrt. »Wie viele Schatten sind es, die sich vom Bash-Arak abgewandt haben?«, fragt er, um das Thema zu wechseln.
Der andere geht nicht auf die Frage ein, sondern hält lauschend inne und schaut suchend über die weite graue Ebene. »Wir können nicht mehr lange sprechen. Schon befinden sich Späher auf dem Weg hierher, die dein Eindringen in die Grauen Sphären bemerkt haben. Sie suchen nach dir, um dich gefangen zu nehmen. – Was deine Frage betrifft: Ja, es gibt einige Schattenwesen, die sich in ihrer tiefsten Seele vom Bash-Arak abgewendet haben. Es sind nicht viele, aber unsere Anzahl wächst stetig. Doch wir müssen große Vorsicht walten lassen und im Verborgenen bleiben. Der Bash-Arak darf nichts von unseren verräterischen Gedanken erfahren.«
»Könnt ihr euch nicht einfach von ihm lossagen und eure eigenen Wege gehen?«
Der Schatten schüttelt müde das Haupt. »Wir können seinem Bann nicht entfliehen und sind gezwungen, das zu tun, was er von uns verlangt. Es gibt kein Entkommen, nur der Linethar kann uns befreien.«
»Auf welche Weise sollte ich euch helfen können? Ich habe keine Ahnung, wie ich den Bann aufheben soll, der euch in den Grauen Sphären festhält.«
»Wenn du es nicht weißt, weiß es niemand«, spricht der Schatten. »Nur wenn der Zauber, mit dem wir gebunden sind, aufgehoben wird, sind wir frei.«
»Können euch die Ritter von Dan nicht helfen? Immerhin haben die Erzmagier euch damals in die Grauen Sphären verbannt, als ihr euch dem Bash-Arak verschrieben hattet.«
»Die Dan könnten uns wohl wieder aus dem Zwischenreich befreien, aber es wäre zu gefährlich. Denn wir stehen immer noch unter dem Einfluss des Bash-Arak und sind seine Sklaven. Wenn wir, die Schatten, befreit würden und uns ungehindert in andere Welten bewegen könnten, würden wir dort großen Schaden anrichten, ob wir es wollten oder nicht.«
»Dann bleibt euch also tatsächlich keine andere Möglichkeit, als auf eure vollkommene Erlösung zu warten.«
Der Schatten nickt stumm. »Der Linethar wird wissen, was zu tun ist«, sagt er schließlich. Seine Worte erinnern Tenan an jene der Grauen Flüsterer, die sie damals zu ihm gesprochen haben. Auch sie meinten, er besitze die Kraft, sie zu erlösen.
»Es ist nun Zeit für dich, nach Algarad zurückzukehren«, sagt der Schatten und sein Blick wandert wieder zum Himmel. »Bewahre unser Schicksal in deinem Herzen, auf dass du uns dereinst in die Freiheit führen kannst.«
»Sag mir noch eins!« Tenan muss das Geheimnis kennen, das diese ungewöhnliche Begegnung herbeigeführt hat. »Wie bin ich hierhergekommen? Befindet sich der Meledos-Kristall etwa an Bord eines der Schiffe der Dan-Flotte?«
Der Schatten scheint ihn nicht gehört zu haben. »Die Späher sind schon ganz in unserer Nähe, ich kann ihre Gegenwart spüren. Du musst diese Ebene so schnell wie möglich verlassen, Linethar!«
»Aber ...«
»Keine Zeit mehr! Schnell, geh zurück durch das Weltentor!«
Der Schatten drängt ihn zum großen Tor aus Sandstein, das in seinem Rücken steht und den Zugang nach Algarad bildet. Tenan sträubt sich, möchte bleiben, um etwas über den Verbleib des Meledos zu erfahren, doch da tauchen schwarze, geflügelte Wesen am bleigrauen Himmel auf, die sich in großer Geschwindigkeit nähern. Sie gleichen riesigen Flugdrachen, ihre Leiber lodern in Flammen aus schwarzem Feuer und ihre Flügel sehen aus, als seien sie aus den Gespinsten der Nacht gewoben. Dunkelblau wie Saphire strahlen ihre Augen über die Ebene. Tenan läuft ein kalter Schauer den Rücken hinab, als ihr Blick ihn erfasst. Sie halten direkt auf ihn zu.
»Wenn sie dich finden, können sie deine Seele bannen und in den Grauen Sphären festhalten«, ruft der Schatten, »deshalb geh jetzt!«
Die Flugwesen kreischen mit schrillen Stimmen, sie legen die Flügel an und rauschen im Sturzflug auf Tenan zu, einen Schweif aus schwarzen Flammen hinter sich her ziehend. Tenan starrt ihnen wie gebannt entgegen, unfähig, sich zu bewegen. Das Schattenwesen nimmt ihn an der Hand und stößt ihn durch die offen stehenden Flügel des Weltentores.
»Beantworte meine Frage, es ist wichtig! Wo ist der Meledos?« Tenan versucht sich an einem der Flügel des Portals festzuhalten, doch seine Hand gleitet ab, und schon erfasst ihn der starke Sog aus Licht und Nebel, der ihn zurück in die
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