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Der Ruf der Pferde

Der Ruf der Pferde

Titel: Der Ruf der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Beyrichen
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meinte, und wappnete sich innerlich gegen die Predigt, die er in-und auswendig kannte.
    »Du siehst aus wie irgendein Bauernlümmel«, kam es auch schon von seinem Vater. »Du solltest eigentlich wissen, was du deinem Namen schuldig bist. Ordentliche Reitkleidung ist das Mindeste, was man von dir erwarten kann. Aber nein, mein einziger Sohn zieht es vor, sich in dreckige Stallkleidung zu hüllen, wenn er meine Pferde reitet.«
    »Sonny ist es ja wohl egal, was ich anhabe«, konnte sich Ethan nicht verkneifen anzumerken, auch wenn er genau wusste, dass Widerrede die Strafpredigt nur verlängerte und rein gar nichts brachte.
    »Und das Pferd heißt Soirbheachas, merk dir das endlich.«
    Ethan schwieg, schnallte die Steigbügel am Sattel fest und löste Sonnys Gurt. Der Wallach beugte seine Nüstern zu Laird hinunter, der ihn freundlich stupste. Die Pferde mochten den Hund, der sich ebenfalls zu ihnen hingezogen fühlte. Wenn sein Vater ihn doch einmal so freundlich begrüßen würde, wie es der Hund tat, dachte Ethan. Aber jetzt würde gleich noch der übliche Sermon folgen, dass er den Ritt sicherlich wieder nicht zum Training für die nächste Jagd genutzt hatte.
    »Wahrscheinlich hast du auch wieder die Zeit vertrödelt«, sagte sein Vater tatsächlich und musterte den Wallach kritisch. Sonny schwitzte nur leicht – ein Beweis dafür, dass er sich nicht sonderlich hatte anstrengen müssen.
    Ethan erwiderte auch darauf nichts, trug den Sattel in den Stall und kam mit einigen Tüchern wieder heraus. Während er das Fell des Pferdes sorgfältig trocken rieb, ließ er seine Gedanken wandern und hörte gar nicht mehr zu, was sein Vater an ihm herummäkelte. Er wollte hier weg. Es wurde immer unerträglicher. ». . . du bist genau wie deine Mutter«, sagte sein Vater gerade und Ethan biss die Zähne zusammen. Dies war der Teil seiner
    Vorhaltungen, den Ethan am meisten fürchtete, weil er darauf am wenigsten erwidern konnte. Er konnte sich an seine Mutter ja kaum noch erinnern und noch viel weniger wusste er, was sie so Schreckliches getan hatte, dass sein Vater dies als ärgste Beschuldigung gegenüber ihm zu benutzen pflegte. Er merkte nur, wie sehr es ihn jedes Mal traf.
    Hör endlich auf, dachte Ethan. Hör doch endlich auf!
    Aber wie sollte er nur von hier wegkommen, außer er ging tatsächlich nach St. Andrews?
    Das Problem war einfach nicht zu lösen.
    Ethan schluckte und führte Sonny in den Stall.

6.
    »Da ist sie! Ich sehe sie ganz genau!«
    Patricia sah in die Richtung von Ivans ausgestrecktem Finger, doch sie konnte nur Wellen erkennen.
    »Wo?«
    »Na dort!« Ivans Stimme überschlug sich beinahe vor Aufregung. »Schau doch mal genau hin, dort, hinter der kleinen Einbuchtung!« Vor Eifer stolperte er über seine eigenen Füße und wäre um ein Haar die Böschung hinuntergestürzt, wenn Patricia ihn nicht reaktionsschnell beim Arm ergriffen und festgehalten hätte.
    »Pass doch auf, wo du hintrittst«, schalt sie ihren Bruder. »Wenn du ins Wasser fällst, bist du pitschnass und ich muss im Auto in deinen Pfützen sitzen!«
    »Ist doch egal, dann zieh ich mich halt um.« Ivan schüttelte ihre Hand von sich ab. »Wir haben doch genug Klamotten dabei!«
    »Aber der See ist mit Sicherheit eiskalt«, bemerkte Patricia. »Und dann kriegst du einen fetten Schnupfen und darfst den Urlaub im Bett verbringen. Mit Kamillentee«, fügte sie genüsslich hinzu.
    »Den kannst du selber trinken.« Ivan blickte sie verachtungsvoll an, dann drehte er sich wieder zum See um. »Hast du sie jetzt gesehen?«
    »Das mit Nessie ist doch nur ein Aberglaube.« Patricia verschränkte die Arme und machte ein skeptisches Gesicht, doch auch sie ließ ihren forschenden Blick über die dunkle Wasseroberfläche von Loch Ness schweifen.
    Sie standen direkt am Ufer. Zwischen den aus dem seichten Wasser vor ihnen ragenden morschen Pfählen dümpelten einige Schwäne, die auf Leckerbissen warteten. Doch Patricia und Ivan hatten ihnen bereits die Reste ihrer Mittagssandwiches zugeworfen, und als die majestätischen weißen Vögel erkannten, dass bei ihnen nichts mehr zu holen war, entfernten sie sich, dabei hoheitsvoll ihr Gefieder putzend.
    »Patricia! Ivan!« Die Stimme ihrer Mutter schallte herüber. »Kommt, wir wollen uns doch noch die Ruine ansehen!«
    Patricia und Ivan seufzten im Duett. Diesmal waren sie sich beide einig: Die Besichtigung kaputter historischer Bauwerke wie dieses Urquhart Castle hier am Loch Ness war einfach langweilig.

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