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Der Ruf der Pferde

Der Ruf der Pferde

Titel: Der Ruf der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Beyrichen
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Patricia darüber im Klaren, dass Löwen hier wohl eher selten vorkamen, also brauchte sie sich darüber nicht zu sorgen. Andererseits, es waren ja schon gelegentlich solche Tiere beim Zirkus ausgebrochen oder so. Patricia runzelte die Stirn.
    Ach, Unsinn!
    Entschlossen stand sie auf, um nachzusehen.
    Aber trotzdem war eine gewisse Vorsicht sicherheitshalber angebracht . . .
    Im Gebüsch unter den Bäumen raschelte es lauter, als Patricia behutsam näher trat.
    Und dann hätte sie beinahe laut aufgelacht.
    Durch das Gesträuch schaute ihr ein Pferdegesicht entgegen.
    Ein Pony.
    Es stand in aller Seelenruhe da und rupfte sich Blätter von den Zweigen. Geruhsam kauend, drehte es seine Ohren aufmerksam nach vorne und blickte die Person, die es bei seinem Mittagsmahl störte, neugierig an. Die Färbung seines Fells erinnerte tatsächlich an einen Löwen: ein fahles Hellbraun, mit struppiger grauschwarzer Mähne. Doch Nüstern und Beine waren dunkel und seine Augen funkelten vor Interesse und Klugheit.
    »Na, wo kommst du denn her?« Patricia lachte das Pony an. »Und weit und breit kein Reiter in Sicht. Bist du am Ende irgendwo ausgebüxt?«
    Das Pony schüttelte seinen Kopf und stampfte mit dem Vorderhuf auf den Boden – das war das Poltern, das Patricia gehört hatte. Ohne seinen Blick von dem Mädchen zu wenden, machte es den Hals lang und angelte sich eine neue Portion Blätter vom Baum.
    Patricia trat an das Pony heran. Es trug kein Halfter, aber es war eindeutig zutraulich und zahm, es musste also jemandem gehören. Ponys waren bekannt dafür, dass sie kein Zaun ernsthaft zurückhielt, und die Hochlandponys, zu denen dieses eindeutig gehörte, machten da sicher keine Ausnahme.
    Es begrüßte Patricia freundlich und beschnupperte sie, als sie es streichelte.
    »Du bist ja ein ganz Freundlicher«, sagte Patricia und klopfte ihm den Hals.
    Das Pony schnaubte.
    »Erzähl mal, wo bist du denn durchgebrannt? Meinst du nicht, dein Besitzer sucht dich schon?«
    Die Nöte seines Besitzers schienen das Pony nicht besonders zu interessieren. Viel erfolgversprechender fand es offenbar hingegen, in Patricias Hosentaschen nach etwas Schmackhaftem zu suchen.
    Patricia verlor beinahe das Gleichgewicht, als es versuchte, seine Nüstern in ihre Tasche zu stecken.
    »Na hör mal, kannst du nicht wenigstens Bitte sagen?«
    Das Pony blickte Patricia mit gespitzten Ohren an, als höre es ihr tatsächlich ernsthaft zu. Patricia streichelte die weichen Nüstern und zauste die drahtige Mähne. Auch dieses Tier wies einen Aalstrich auf dem Rücken auf, also war es wohl tatsächlich ein Highland Pony. Ein Hengst im Übrigen, wie Patricia feststellte. Den Zähnen nach, die sie flüchtig untersuchte, war er noch recht jung, vielleicht zwei Jahre alt – noch in der Pubertät, sozusagen, und dementsprechend neugierig auf die Welt. Deshalb wahrscheinlich auch dieser Ausflug.
    Wem er wohl gehörte?
    Doch Patricia musste nicht lange überlegen. Wahrscheinlich kam das Pferd von diesem ominösen McNair-Hof. Mrs Dench hatte ihr ja fast jeden Tag davon vorgeschwärmt; einen anderen Reiterhof hatte sie nicht erwähnt, und Patricia betrachtete es als ausgeschlossen, dass sie so etwas vergessen haben könnte. Ihren Berichten nach lag der Hof nicht übermäßig weit entfernt – kein Problem also für ein sich langweilendes Pony, einen Abstecher zum See zu machen.
    Was sollte sie nun mit dem Ausreißer tun?
    Für einen langen, beruhigenden Moment dachte sich Patricia, dass es sie ja eigentlich nichts anging. Das Pony war alleine hierher gelaufen, es würde auch ohne Hilfe den Weg zurück zu seinem Zuhause finden. Pferde verfügten schließlich über einen ausgeprägten Orientierungssinn.
    Und außerdem war sie nicht das Kindermädchen dieses vierbeinigen Teenagers. Seine Besitzer suchten das Pony bestimmt sowieso bereits und würden es irgendwann schon wieder einfangen.
    Also sollte sie die Angelegenheit am besten ignorieren.
    Patricia hob die Hand, um dem kleinen Hengst einen Klaps zu versetzen, auf dass er sich davonmachte. Doch mitten in der Bewegung stoppte sie.
    Nein, das durfte sie nicht tun.
    Es wäre unverantwortlich.
    Wer konnte sicher sein, dass das Pony tatsächlich nach Hause zurückkehrte? Vielleicht strolchte es bloß einfach weiter. Lief womöglich auf eine Straße und wurde von einem Auto angefahren. Verfing sich in einem Stacheldrahtzaun. Trat in ein Erdloch und brach sich einen Lauf. Oder fiel in den eiskalten See und ertrank – oder

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