Der Ruf der Pferde
Ponys draußen im Hof verursachten, konnte Patricia einigermaßen abschätzen, wann schon wieder eine Stunde herum war, und allmählich machte sie sich ernsthaft Sorgen.
Was war los mit Ethan? Hatte er keine Lust, sie zu sehen?
Patricia merkte, wie ihr auf einmal kalt wurde. Sie zog ihre Jacke aus dem Strohhaufen, auf dem sie sie morgens abgelegt hatte, und schlüpfte hinein. Um ihre klammen Finger zu wärmen, steckte sie ihre Hände tief in die Jackentaschen und wollte sich gerade wieder neben Dallis kuscheln, als sie stutzte. In der linken Tasche stieß ihre Hand an einen kleinen, harten Gegenstand.
Ihr Handy! Wo kam denn das auf einmal her? Sie hatte geglaubt, es läge auf ihrem Nachttisch in der Pension.
Nein, fiel ihr gleich darauf ein. Sie hatte es neulich mitgenommen, weil sie die SMS an Jennifer und Katie schreiben wollte, und anschließend vermutlich in der Jacke vergessen.
War das wirklich erst wenige Tage her? Patricia kam es vor, als lägen Monate dazwischen.
Nachdenklich betrachtete sie das Handy. Es war sogar noch ein Rest Saft im Akku. Für ein Telefongespräch sollte es noch ausreichen. Die Empfangsanzeige sah zwar hier im Inneren des Stalls nicht allzu vielversprechend aus, aber es genügte wahrscheinlich.
Sollte sie oder sollte sie nicht . . .?
Dann gab sie sich einen Ruck und rief die Auskunft an.
Die Zahlen, die man ihr für den Privatanschluss der Familie Longmuir nannte, speicherte sie in ihr Handy ein und tippte sie dann mit klopfendem Herzen.
Das Besetzzeichen ertönte. Ernüchtert drückte Patricia die Abbruchtaste.
So ein Mist! Dann versuchte sie es eben später noch einmal.
Doch weder beim zweiten und dritten Versuch, noch als sie es mindestens eine Stunde später wieder probierte, kam Patricia durch. Immer hörte sie nur das gleichförmige Piepen.
Wer telefonierte denn da so ausgiebig?, fragte sie sich anfangs verärgert, dann mit wachsender Verzweiflung.
Draußen sattelte gerade die letzte Reitgruppe des Tages ab, bald wurde es Abend und Patricia hatte immer noch keine Rettungsmöglichkeit für Dallis entdeckt! Ethan musste ihr helfen, ihm fiel doch bestimmt noch irgendetwas ein!
Doch Ethan war nicht zu erreichen.
Patricia geriet allmählich in Panik. Die Zeit lief ihr davon!
Was sollte sie nur tun?
Ein letztes Mal würde sie jetzt noch anzurufen versuchen, für mehr reichte der Akku des Handys ohnehin nicht mehr.
Ohne große Erwartung tippte Patricia die ihr inzwischen vertrauten Zahlen.
Das Freizeichen ertönte. Patricias Herz begann, wieder wie wild zu klopfen.
Hoffentlich war mit Ethan alles in Ordnung!
Eine kurz angebundene Männerstimme meldete sich. Ethans Vater?
Patricia war so nervös, dass sie kaum ein Wort herausbrachte. Sie stotterte, während sie sich hastig vorstellte und nach Ethan fragte.
»Moment, ich hole ihn.« Der Hörer wurde abgelegt und Patricia vernahm im Hintergrund Geräusche, als ob eine Tür geöffnet wurde, Schritte, einige Augenblicke später dann sich nähernde Stimmen.
»Irgendein Mädchen«, hörte sie den Mann knurren. »Wurde ja auch langsam Zeit, dass du dich für so was interessierst. Ich hab schon gedacht, du wärst schwul!«
Patricia lauschte befremdet. Ethans Vater schien ja ein komischer Mensch zu sein, wie redete der denn mit seinem Sohn?
Ethan gab allerdings wohl keine Antwort darauf, sondern meldete sich am Apparat.
»Ich bin’s, Patricia«, sagte sie und stockte. Was sollte sie ihm sagen?
»Hallo«, erwiderte Ethan. Er klang ein wenig seltsam, aber vielleicht lag das an der Telefonverbindung, dachte Patricia. Oder die Bemerkung seines Vaters hatte ihn geärgert.
Sie räusperte sich.
»Ich hab schon ein paar Mal versucht, dich zu erreichen«, meinte sie dann, fieberhaft nach einem Einstieg suchend. »Aber es war immer besetzt.«
»Logisch.« Ethans Stimme hörte sich kühl an. »Ich war bis vorhin im Netz.«
»Im Netz?«
»Im Internet.«
»Ach so, ja. Klar.« Patricia war verwirrt. Was war mit Ethan los, er wirkte so merkwürdig. Man konnte fast denken, er wäre böse auf sie. Aber warum sollte er das sein?
»Ich hab dich vermisst heute«, versuchte sie es.
»So?«
»Na ja, ich dachte, du kämst vielleicht wieder zum Hof rüber.«
»Tja, hab ich offensichtlich nicht gemacht.«
Patricia holte tief Luft. Nein, das war wirklich keine Einbildung. Ethan schien wirklich sauer zu sein. Aber worauf und weswegen?
Sie schluckte den wachsenden Kloß in ihrer Kehle hinunter und atmete durch.
»Ethan, ist irgendwas
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