Der Ruf der Steine
Peter.
6
Es dauerte einige Zeit, bis sich die Neuankömmlinge in ihren Zimmern eingerichtet hatten. Da inzwischen leichter Regen fiel, verschob Peter die Besichtigung des Grabungsplatzes auf den nächsten Tag.
Nach ausgiebigem Frühstück erklärte Peter in kurzen Worten das Wichtigste über die Archäologie der indianischen Urbevölkerung und das Vorgehen bei einer Grabung. Gegen elf führte er die Gruppe den Strand entlang und dann den Abhang zur Klippe Pulpit’s Point hinauf.
Es hatte aufgeklart, und ein warmer Seewind blies weiße Wattewolken über den azurblauen Himmel.
Jackie pfiff leise durch die Zähne, als er die Baumaßnahmen unterhalb der Klippe im ganzen Ausmaß übersehen konnte. »Was in aller Welt soll denn das werden?«
»Atlantis, Machu Picchu und Disneyland in einem«, bemerkte Peter. Es roch leicht nach Rauch, aber er sah nirgendwo Anzeichen eines Feuers.
»Das scheint mir auch so.«
Es war faszinierend, wie sehr die Maschinen in nur drei Wochen die Gegend verändert hatten. Einige tausend Quadratmeter zwischen der Klippe und den Salzwiesen waren aufgefüllt worden. Direkt unterhalb von ihnen hob eine Fräse einen tiefen Graben Richtung Inland aus, und am Meeressaum verdichtete eine gewaltige Dampframme die Aufschüttung mit donnernden Schlägen, als ob sie die Insel auf dem Boden der Bucht festnageln wollte. In einiger Entfernung kappten Bulldozer und Laster eine Kuppe. Es erfüllte Peter noch immer mit Entsetzen, mit welcher Schnelligkeit ein grüner Hügel gegenüber von Pulpit’s Point skalpiert worden war. Wo noch vor drei Wochen dichter Eichenwald gestanden hatte, gähnte jetzt ein nackter roter, von Felsadern durchzogener Abhang mit Baumstümpfen und zwei riesigen Bergen Holz. Die Zerkleinerungsmaschine war Peter besonders verhasst – ein rotes, unersättliches Monster, das einen Baum nach dem anderen verschlang und Minuten später am anderen Ende als Holzschnipsel ausspuckte. Das beste Symbol für die hirnlose Effizienz, mit der eine ganze Insel in die Traumvorstellung eines einzigen Mannes verwandelt wurde.
Andy fragte, ob er im Bagger spielen dürfe. Peter sah zu der Maschine hinüber. Von der leicht erhöhten Stelle, wo sie stand, hatte man einen weiten Blick über den äußeren Hafen.
»Aber natürlich«, sagte er und sah Andy kurz nach.
Dann führte er die Gruppe über das Grabungsfeld zu den Steinen. Als er den Sandhügel umrundete, bekam er plötzlich weiche Knie und dachte an seinen ersten Besuch, als der sprichwörtliche »Jemand« über sein Grab gegangen war. »Es existieren keinerlei Aufzeichnungen, doch der Besitzer der Insel glaubt, dass hier eine hölzerne Kapelle gestanden hat, die im späten siebzehnten Jahrhundert durch einen Hurrikan zerstört wurde.«
»Teilst du diese Ansicht?«, fragte Sparky.
»Ich bin noch unschlüssig.« Er betrachtete den kahlen Sandberg, auf dem kein Hälmchen wuchs. Ein seltsames, fremdartiges Gebilde. »Es ist zumindest seltsam, dass die Steine ungefähr einen Meter tief verschüttet waren.«
»Was ist daran so seltsam?«
»Diese Klippe besteht aus Granit. Die Erdschicht ist hier oben nur ein paar Zentimeter dick.«
»Und das heißt?«, fragte Connie.
»Das heißt, dass dieser Hügel nicht auf natürliche Weise entstanden ist. Die Steine wurden im wahrsten Sinn des Wortes begraben.«
»Und weshalb sollte das jemand tun?«, fragte Sparky.
»Genau das hoffe ich herauszufinden«, antwortete Peter. Seiner Schätzung nach mussten ungefähr fünfhundert Tonnen Sand nach oben transportiert worden sein, um die Steine zu begraben.
»Der Hügel ähnelt indianischen Grabhügeln, die ich in Nevada gesehen habe«, sagte Sparky.
»Das ist richtig, aber die Indianerstämme dieser Gegend haben ihre Toten nicht in Hügeln, sondern einfach im Boden bestattet. In der Kolonialzeit finden sich die Gräber sogar auf christlichen Friedhöfen. Weiter gibt es keinerlei Aufzeichnungen darüber, dass die Indianer Kingdom Head überhaupt jemals für irgendetwas genutzt hätten. Im Gegenteil. Es sieht eher so aus, als ob sie den Ort gemieden hätten.«
Er betrachtete den sterilen Hügel und fühlte, wie sein Mut sank. Eine hoffnungslose Aufgabe. Selbst wenn er etwas fand, so konnte er der Entdeckung mit drei Amateuren und einem Schaufelbagger in zwanzig Tagen wohl kaum gerecht werden.
»Was hoffst du in deinen kühnsten Träumen hier zu finden?«, fragte Connie.
»In meinen kühnsten Träumen … nun ja, zumindest einen Tempel der
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