Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ruf der Steine

Der Ruf der Steine

Titel: Der Ruf der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Goshgarian
Vom Netzwerk:
verspürt und gestern wieder. Die Erinnerung an das Messer im Boden piesackte ihn wie ein Stein im Schuh.
    Er drehte den Gashahn ab und ging mit der Schüssel zur Tür. Jimmy P.s Worte hallten in seinem Kopf.
    Es ist nicht die erste eigenartige Sache, die dort oben passiert.
    Was ging hier vor? Gestern hatte er befürchtet, den Verstand zu verlieren, doch das heutige Geschehen war anders. Sie wussten alle, dass etwas mit dem Bagger passiert war. Stahl schmolz schließlich nicht von allein. Doch wenn es tatsächlich Sabotage gewesen wäre, hätten ihnen zumindest die Ohren bei der Explosion klingeln müssen. Und Andy hätte sich an dem geschmolzenen Metall verbrannt.
    Peter stieß die Tür mit dem Fuß auf. Mit rot geweinten Augen stand Andy davor. Die Glühwürmchen in seinem Glas waren tot.

 

    9
    Peter roch Rauch und schoss in die Höhe.
    Aber nirgendwo im Schlafzimmer züngelten Flammen. Alles war ruhig. Er sah auf die Uhr: Null Uhr dreizehn. Andy schlief tief und fest. Peter stand auf und überprüfte leise Zimmer für Zimmer, ohne jemanden zu wecken. Alles war in bester Ordnung – nirgendwo brannte oder schmorte etwas. Jedenfalls nicht im Haus. Der Geruch kam eindeutig von draußen. Der Wind, der vom Meer ins Haus wehte, trug ihn mit sich. Peter schlüpfte in Shorts und Nikes.
    Kurz darauf lief er über den Strand, spürte den festen Sand unter den Füßen und hörte, wie die Muscheln wie Eierschalen unter seinen Sohlen knackten. Der Rauch schien stärker zu werden, je mehr er sich Pulpit’s Point näherte. Aber er konnte keinen Feuerschein entdecken. Im Moment war das unwichtig, denn er fühlte sich unglaublich stark. Seine Muskeln arbeiteten wie Maschinen, und er hatte das Gefühl, als ob er ewig so weiterrennen könnte. Noch nie war er in so geschmeidigen, mühelosen Sprüngen dahingeflogen, als ob eine unbekannte Kraft ihn vorantrüge.
    Alles war wie sonst – derselbe Strand, der Kies, der feste Sand, die knacksenden Muscheln, dieselbe Küstenlinie – und doch war etwas anders. Es dauerte eine Zeit, bis Peter begriff, dass die schweren Baumaschinen verschwunden waren. Auch die Sandhaufen, die Barriere am Ufer, die Betonfundamente und selbst die Pontons waren nicht mehr da. Aus irgendeinem Grund war alles beseitigt worden. Aber das Verrückteste war das Tempo. Wie hatten sie diese Mammutaufgabe bewerkstelligt?
    Auch das Licht war anders. Die Sterne leuchteten zwar, und der zunehmende Mond hing wie betrunken über dem Festland, aber die Bucht lag in völliger Dunkelheit. Die Skyline von Boston war verschwunden. Die hatten sie ebenfalls beseitigt.
    Peter war jedoch nicht besonders beunruhigt, denn unter diesen eigenartigen Umständen passte es ins Bild. Außerdem hatte er es eilig.
    Er rannte weiter und spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Die Luft war warm und verheißungsvoll. Er überquerte einige Sanddünen und rannte dann den Abhang zum Pulpit’s Point empor. Er war nicht einmal außer Atem, er hatte nur Angst, sich zu verspäten.
    Doch die Angst war unbegründet.
    Der Mann in der schwarzen Robe nickte, als er Peter sah, und presste das schwarze Buch an seine Brust. Um ihn herum drängten sich im spärlichen Flackerlicht einiger Laternen Menschen zu einem düsteren Kreis. Groteske Schatten fielen über den Hintergrund, aber mehr konnte Peter nicht erkennen. Es roch stark nach Rauch.
    Der Mann in der langen Robe betrachtete die Menge mit nüchternem Blick. »Brüder, Satan ist unter uns.«
    »Satan ist unter uns«, brummelte die Versammlung.
    Er deutete auf eine Frau, die mit dem Rücken an einem Felsen lehnte. Peter drängte sich ein wenig näher heran, um besser sehen zu können. Aber das Gesicht der Frau lag im Schatten. Er sah nur das dunkle Haar und hin und wieder einen Lichtreflex des Feuers in ihren Augen.
    »Brigid Mocnessa, ich beschuldige dich der Hexerei gegen den Allmächtigen Gott und unschuldige Mitglieder dieser Versammlung. Aus diesem Grund musst du dich heute hier verantworten. Wir schreiben den vierten Juli des vierten Regierungsjahrs unserer gnädigen Herrscher King William und Queen Mary von England, im Jahr unseres Herrn 1692.«
    In Shorts und Turnschuhen kam Peter sich etwas fehl am Platz vor, denn alle anderen Männer trugen Gehröcke und breitrandige Hüte.
    »Jeremiah Oates, mit welchem Recht urteilst du über mich?«, schrie die Frau.
    »Mit welchem Recht? Ehrenvolle Zeugen, die sich hier versammelt haben, klagen dich verabscheuungswürdiger Untaten und teuflischer

Weitere Kostenlose Bücher