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Der Ruf der Steine

Der Ruf der Steine

Titel: Der Ruf der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Goshgarian
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Glühwürmchen, Abermillionen von Glühwürmchen.
    »O Gott!«, stieß er hervor und stampfte in wilder Panik mit dem Fuß auf seinem unsichtbaren Gegner herum.
    Wohin ist die normale Welt verschwunden? Wo bin ich hier? Schreckliche Vorahnungen, grauenhafte Halluzinationen, Schaufelbagger, deren Bremskabel verschmorten und die sich von der Klippe stürzen wollten, anfallartige Lust auf Vergewaltigung, vergrabene Hunde mit gebrochenen Knochen und obendrein diese verdammten Hexenträume! Was ging hier vor?
    Vielleicht war er ja durch einen Riss in der Zeit in ein paralleles Universum geglitten.
    Die feuchtwarme Luft umschloss ihn wie ein Schwamm. Seine Kiefermuskeln waren angespannt, und auf der Zunge schmeckte er panikartige Furcht.
    Das Spektakel kann losgehen.
    Nein! Schluss damit! Es ist ein völlig natürliches Phänomen, ein erforschtes Geschehen, eine chemische Reaktion, die in Sumpfgebieten auftritt. Irrlichter oder Sumpfflämmchen. Ignis fatuus. Verdammt, Mann, du bist doch Wissenschaftler!, tadelte er sich selbst. Eine klare Sache. Er sah sich um. Seine Schritte hatten eine grünlich leuchtende Radium-Spur hinterlassen.
    Guter Gott!
    Peter war kein religiöser Mensch und glaubte an keine andere Welt als die sichtbare. Übernatürliche Phänomene konnten ihn nicht schrecken, weil er ohnehin nicht daran glaubte. Für ihn existierte nur die Realität, die sich naturwissenschaftlich erklären ließ. Geister oder Dämonen gab es nicht – und doch kamen ihm hier in diesem Wald erste Zweifel. Der Bezug zur Realität schwand von Schritt zu Schritt mehr, und er empfand plötzlich wieder die düstere Vorahnung, die er schon bei seinem ersten Besuch auf der Klippe empfunden hatte. Er hatte das starke Gefühl, sich im Einflussbereich einer übernatürlichen Kraft zu befinden. Einer bösen Macht.
    Wahrscheinlich hatten die Indianer dieselben Empfindungen gehegt. Warum sonst war die Insel als einzige unter dreiunddreißig anderen nie besiedelt worden? Eigentlich war sie der perfekte Vorposten, was die Größe, die Nähe zum Festland und die Fischgründe betraf. In den Aufzeichnungen befand sich kein einziges Wort zu dieser Überlegung. Vermutlich wussten die Indianer es einfach besser. Die Insel war ein »falscher« Ort – ein verfluchter Ort.
    Eine Rauchwolke hüllte ihn ein.
    Ganz weit hinten in seinem Unterbewusstsein regte sich etwas, murmelte etwas – aber gleich darauf war es vorbei.
    Peter begann zu rennen.
    Das Licht vor ihm war verschwunden, aber die Irrlichter um ihn her leuchteten noch. Sie zeichneten Silhouetten von Erhebungen, Bäumchen und herabgefallenen Ästen nach und spritzten bei jedem Schritt auf, als ob sich direkt unterhalb der Oberfläche ein See aus flüssigem, grünem Licht befände.
    Im ersten Augenblick hielt er es für Einbildung, doch das Zeug wurde mehr. Obendrein schien es seine Bewegungen vorauszuahnen. Wenn er sich nach rechts wandte, leuchtete der Boden vor ihm auf. Und wenn er nach links abbog, nahm das Zeug die Bewegung bereits vorweg. Wie konnte das geschehen? Die chemische Reaktion wurde doch erst durch den Druck in Gang gesetzt. Dieses Zeug leuchtet auf, bevor ich es berühre, als ob es fühlen könnte. Es folgt nicht meinen Bewegungen, sondern es führt mich!
    Gott, es soll endlich aufhören!
    Peter stolperte gegen eine Eiche. Wieder roch er deutlich den Rauch, und diesmal hörte er eine leise Stimme im Luftzug.
    Hier entlang.
    »Wie bitte?« Unwillkürlich sah er sich um, als ob jede Sekunde jemand auftauchen würde. Ein elektrischer Schlag durchzuckte ihn. So weit er schauen konnte, leuchtete der gesamte Waldboden giftig grün. Bäume, Büsche, abgestorbenes Holz und kleinere Felsen erhoben sich als Silhouette vor dem schwarzgrünen Neondschungel.
    Er biss sich auf die Zunge, um einen Schrei zu unterdrücken.
    Ich kann es nicht glauben. Ich kann nicht glauben, was ich sehe!
    Mit angehaltenem Atem hielt er sich einige Sekunden lang die Augen zu. »Bitte, Gott«, flüsterte er, bevor er sie wieder öffnete.
    Nichts. Alles war stockdunkel.
    Natürlich. Der Alptraum war vorbei. Du bist gerade aufgewacht. Das erklärte auch das feuchtkalte Gefühl an seinem Hals. Er hatte beim Schlafen geschwitzt. Ich liege in meinem Bett und schlafe, redete er sich ein. Das erklärt alles. Nur die Eiche nicht, an der er sich gestoßen hatte.
    Er befand sich tatsächlich im Wald. In demselben Wald wie gerade eben noch, doch die Erscheinung war verschwunden. Ohne das phosphoreszierende Licht war

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