Der Ruf Der Walkueren
überflüssig, aber man konnte nie wissen. Eckewart, Gislher, Volker und Ansgar trugen den Sachsen. Grimhild hatte dafür gesorgt, dass weder Gunter noch Hagen ihn auch nur anrührten. Der Zug ging aus der Burg hinaus, einen Hügel hinauf. Fackelträger erleuchteten den Weg. Ein Scheiterhaufen war aus abwechselnd längs und quer gelegten Brettern errichtet worden. Man hatte ihn mit Helmen und Kampfschilden behängt und reich geschmückt. Vorsichtig setzten die Träger die Gebeine des Verstorbenen in der Mitte des Scheiterhaufens ab und traten zurück, bis auf Eckewart, der ein Amulett von seinem Hals nahm und es neben Sigfrid niederlegte. Grimhild trat vor und häufte Beutel mit Gold und römischen Münzen als Weggeld neben die sterbliche Hülle ihres Mannes. Auch eine lederne Tasche mit der nötigen Nahrung für seinen langen Weg nach Walhall gab sie ihm mit, und schließlich legte sie ihm Mimung auf die Brust.
Gunter kam die Sitte der Sachsen und Friesen, ihre Toten zu verbrennen statt zu beerdigen, barbarisch vor. Hagen dagegen verfolgte die Zeremonie mit Erleichterung. Zumindest würde eine Verbrennung verhindern, dass Sigfrid als draugr zurückkehrte. Andernfalls hätte er, um sicher zu gehen, darauf gedrungen, schwere Steine auf den Leichnam zu häufen. Wenn Hagen die Toten auch nicht fürchtete, so besaßen sie doch eine nicht zu unterschätzende Macht, der man besser mit Vorsicht begegnete.
Jemand führte Grane über einen Steg auf den Scheiterhaufen. Ivo schluchzte; er hatte sich geweigert, das Pferd zu holen. Nach Sachsenart würde es geopfert werden, um Sigfrid den Weg ins Totenreich zu erleichtern. Der Hengst beugte seinen Hals und beroch den Leichnam seines Herrn. Der pluostrari trat neben das Pferd und intonierte einen Gesang aus der Alten Sprache, einen Gesang, der nur aus wenigen Silben bestand, die ständig wiederholt wurden. Die Bedeutung der Silben war im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen, aber der Sinn des Liedes war klar und wurde von Priester zu Priester weitergegeben. Der pluostrari zog seinen Dolch und setzte ihn an Granes Hals. Der kluge Schecke sah ihn an, als wisse er, was auf ihn zukam, als sei er bereit, sein Leben für seinen Herrn darzubringen, um ihn nach Walhall zu begleiten. Vielleicht waren auch nur die Kräuter, die der Priester unter das letzte Futter gemischt hatte, der Grund für die ergebene Haltung. Ivo wandte das Gesicht ab, als der pluostrari mit einem raschen Schnitt die Halsschlagader des Tieres durchtrennte und zurücksprang, um dem hervorspritzenden Blut auszuweichen. Ohne einen Laut sank das Pferd in sich zusammen und starb.
Grimhild ergriff eine Fackel und trat zum Scheiterhaufen. Und dann, statt das Holz in Brand zu setzen, beugte sie sich über Sigfrids Leichnam und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Die Krieger fröstelten trotz der lauen Frühlingsnacht. Keiner, der nicht an Wodan dachte, wie er seinem toten Sohn eine Rune zuraunte. Es war unmöglich zu hören, was Grimhild sagte, aber es musste ein Versprechen sein, ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen. Und Hagen wusste auch so, um was für eine Art Versprechen es sich handelte, denn während sie flüsterte, sah sie ihm direkt ins Gesicht, mit einem glühenden, unerbittlichen Blick.
Gleichgültig setzte sie den Holzstoß in Brand. Die Flammen breiteten sich rasch aus und züngelten hoch. Ein Totengesang wurde angestimmt, in dem der Ruhm und die Taten des Gestorbenen gepriesen wurden, dazu schlugen die Männer ihre Waffen aneinander. Ausgewählte Krieger ritten unter Geheul um den Scheiterhaufen. Jede Umkreisung war eine weitere Abtrennung des Toten von der Außenwelt, ein Sich-lösen von allem Irdischen. Schwarz stieg der Rauch über das Feuer, der Geruch von verbranntem Fleisch erfüllte die Luft.
Eckewart sang das Heldenlied seines Herrn mit Inbrunst und wischte sich verstohlen eine Träne fort. Wo fand er einen neuen Gefolgsherrn wie Sigfrid? Er dachte daran, zum Jarl von Bertangenland zurückzugehen, aber er hatte sich an das Leben bei den Franken und das sonnige Wetter des Südens gewöhnt. Vielleicht trat er in Rodinger von Bakalars Dienste. Sigmunds Sohn würde er trotzdem niemals vergessen.
Mit brennenden Augen verfolgte Grimhild, wie Sigfrid ihr Stück für Stück entglitt, mit jedem Umritt ein wenig mehr von ihr ging und sie hinter sich zurückließ. Der Strom ihrer Tränen war längst versiegt und hatte einer Art Erstarrung Platz gemacht.
Oda stand in der Nähe, bereit einzugreifen, wenn
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