Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)
aus der Zeit, als die Menschen noch mit Keulen gejagt und Beeren gesammelt haben.«
John holte tief Luft und versuchte, das alles zu verdauen. Alles, woran er denken konnte, war, dass dieser Stephan Asharti unter Kontrolle bringen konnte, es aber nicht tat. »Dieser Mann oder was immer er ist lässt Asharti also einfach Regierungen stürzen und … Vampire schaffen?«
»Als er nach Europa zurückkehrte, hatte sich Asharti schon nach Afrika zurückgezogen. Niemand wusste, wo sie war. Ich hörte ihren Namen das erste Mal nach vierhundert Jahren von Reynard.«
Ein Stechen in Johns Venen machte es ihm schwer zu denken. »Wo ist Stephan Sincai jetzt? Ihr muss Einhalt geboten werden. Sie will Europa verändern … nein, die Welt …«
»Ich hörte, dass er nach Amsterdam gegangen ist, nachdem ich die Stadt verlassen hatte.« Ihre Stimme klang angespannt. »Er wohnt in der Herengracht. Es gefällt ihm dort. Ich habe viele Jahre in Nummer achtunddreißig gelebt.«
John war überzeugter denn je, dass Beatrix noch immer Gefühle für diesen Mann hegte, der sie als Erster in ihrer Jugend geliebt hatte. Sie wusste sogar jetzt noch, wo er wohnte. Es versetzte seinem Herzen einen Stich.
»Er kümmert sich nicht mehr um das, was in der Welt geschieht«, fuhr sie fort. »Er wird Asharti nicht aufhalten, und ich kann es nicht.« Sie stand auf. »Rubius könnte es. Ich werde ihm eine Botschaft senden. Aber die Karpaten sind weit weg. Vorsicht ist jetzt besser als Nachsicht. Ich werde dich zurück nach England bringen. Du kannst dort wieder zu Kräften kommen und lernen, als Vampir zu leben. Dann musst du eine Stadt für dich allein finden.« In ihren großen, dunklen Augen lag ein Ausdruck, den er nicht deuten konnte. »Es ist jeweils nur einem von uns gestattet, in einer Stadt zu leben, damit unsere Anwesenheit den Menschen nicht bekannt wird. Vielleicht in der Neuen Welt? Oder im Fernen Osten. Aber du wirst genug Zeit haben, das zu entscheiden.«
Wie einsam , dachte er. Sich von jenen abzusondern, die allein dich verstehen können. Es gab nichts mehr zu sagen. Er war wie erschlagen von dem, was sie ihm gesagt hatte. Nein, es gab noch etwas, das er wissen musste. »Kann sie uns finden?«
Beatrix wusste, von wem er sprach. »Ja. Durch unsere Vibrationen, wenn sie nah genug ist.«
Er öffnete überrascht die Augen. »Dieses summende Gefühl von Leben in jedem Zimmer, in dem du bist?«
Sie nickte. »Und der Geruch. Zimt und grauer Amber, in verschiedenen Mischungen. Schlaf jetzt und komm zu Kräften. Wir müssen von hier fort, sobald wir können.«
Sie stocherte in den Kohlen und zog schwere Vorhänge vor das Fenster, durch das ein verblassender Himmel zu sehen war, dann legte sie sich auf die Tagesdecke auf dem Bett.
Schwäche überkam John. Er schloss die Augen, aber es dauerte lange, bis er einschlief. Barlow hatte Asharti alles gesagt, lange bevor sie John dazu gezwungen hatte, den Namen preiszugeben. Sie hatte ihn glauben lassen, sein Land verraten zu haben. Warum? Aus Spaß? Und minderte es seine Scham, dass sein Verrat keine Folgen haben würde? Scham … davon gab es mehr als genug, um ihn umzutreiben. Asharti … Quintoc! Sein Bewusstsein glitt zu dem, was er geworden war. Ja, es gab viel, für das er sich schämen musste.
Im Dunkeln saß Beatrix in dem dick gepolsterten Sessel und beobachtete den schlummernden John. Er hatte den ganzen Tag geschlafen. Jetzt war es fast Mitternacht. Er würde leben. Ihr Buch lag unbeachtet neben dem Kamin, in dem nur noch ein paar Kohlen glühten. Nach all dem Blut, das sie ihm gegeben hatte, war ihr schwindelig, aber das dürfte im Moment sogar von Nutzen sein. Ihre Vibrationen wurden durch die körperliche Schwäche gedämpft. Das würde es Asharti schwerer machen, sie zu finden.
Beatrix machte sich keine Illusionen darüber, was bei Ashartis Rückkehr nach Chantilly geschehen war. Beatrix fragte sich, ob LeFèvre es überlebt hatte, ihr die schlechten Nachrichten mitteilen zu müssen. Ihre Beute war gestohlen worden, ihr Majordomus war getötet worden, und das alles von einer Frau, die sie einst als ihren Schützling angesehen hatte – dieselbe Frau, die sich ihr in Krakau vor sechshundert Jahren widersetzt hatte. Sie und wer weiß wie viele ihrer Günstlinge würden zurzeit Paris nach ihr und John durchkämmen.
Die Fragen, die er ihr über seinen Zustand gestellt hatte, waren vernünftig und logisch gewesen. Er machte nicht den Eindruck, als würde er wahnsinnig werden. Sie
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