Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)

Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)

Titel: Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Squires
Vom Netzwerk:
den Schuss, der durch die Nacht peitschte, noch ehe sein Verstand ihn registrieren konnte. John hatte sich bereits hinter die Fronttreppe des nächstbesten Hauses geduckt, hinter die Säule, die dessen Giebel trug, ehe er begriff, dass er ein dumpfes Geräusch in dem Baum neben seinem Kopf gehört hatte.
    Die Kugel war für ihn bestimmt gewesen. Sein Blick huschte über den Square. Der Wind strich durch die großen Bäume in der Mitte des Platzes; die Äste der Ulmen waren noch ohne Laub und schlugen leise aneinander, die Eichen ächzten. Zwei Kutschen fuhren auf der gegenüberliegenden Seite vorbei, die Hufschläge klapperten die Straße entlang. Er glaubte, aus dem Augenwinkel in der Hill Street eine Bewegung wahrzunehmen, doch als er hinschaute, war nichts zu sehen.
    Aber es war nicht nichts. Alle Zweifel waren nun ausgeräumt. Das in der Hay Hill Street waren keine Straßenräuber gewesen. Jemand versuchte, ihn zu töten. Und das bedeutete, dass jemand wusste, wer er war.

Kapitel 6
    B eatrix flüchtete geradezu in ihr Boudoir. Sie hörte einen Schuss auf der Straße aufpeitschen, aber sie bat keinen der Diener herauszufinden, was er zu bedeuten hatte. Sollten doch Räuber sich auf dem Square einnisten und wahllos Passanten ermorden. Es kümmerte sie nicht. Wie hatte sie Langley so viel von sich preisgeben können? Warum? War es der Blitz, der ihr Herz getroffen hatte, als er ihr gesagt hatte, er schätzte Blake vor allen anderen? Und seit wann waren Blake und Turner ihre Favoriten? Konnte die Kunst die Realität in etwas verwandeln, das noch realer und noch erfüllter von Emotion war? Gütiger Gott, gab es so etwas wie eine zweite Unschuld?
    Lächerlich! War man erst von der Grausamkeit und der Dummheit der Welt befleckt, so gab es keinen Weg zurück. Sie glaubte nicht an Verwandlung. Sie setzte sich an ihren Frisiertisch. Oder glaubte sie doch daran?
    Sie besaß jeden Band von Blakes Gedichten, ebenso einige seiner Illustrationen. So primitiv. So aufrüttelnd. Hatte sie gelogen, als sie Langley gestanden hatte, dass Blake ihr Lieblingsdichter war? Beatrix fuhr sich mit der Hand durchs Haar, zog die Nadeln heraus und ließ es über ihre Schultern fallen. Sie schaute im Spiegel auf ein Gesicht, das sich niemals verändern würde. Nein. Verwandlung war nicht möglich. Ihre Unschuld war ihr vor Jahrhunderten geraubt worden …
    Im Hof der Burg Sincai, Transsilvanische Alpen, 1102
    »Wir werden heute Nacht jagen gehen, meine Kätzchen«, sagte Stephan, während er sich den Umhang um die Schultern legte. Beatrix war nie einem Mann begegnet, der so gut aussah wie er, obwohl sie zugeben musste, dass ihre Erfahrung gering war, was Männer betraf. Das Lederwams, das er über einem Leinenhemd sowie Hosen und Stiefeln trug, sollte ihn wie jeden anderen Mann aussehen lassen. Aber so war es nicht. Wie konnte man diese Schultern übersehen, diese glühenden Augen, diese Wangenknochen? Die Aufregung der Nacht durchströmte sie. Sie und Asharti würden heute Nacht lernen, wie sie ihren Gefährten füttern konnten. Es würde keine Becher mit Blut mehr geben, die Stephan ihnen reichte. Sie schaute zu Asharti. Ihre Schwester hatte sich sehr rasch besonnen, nachdem Stephan gedroht hatte, sie zu Hause zu lassen.
    Die beiden Mädchen hüllten sich in ihre Umhänge. Es war kalt in den Bergen. »Werden wir ins Dorf gehen?«, fragte Beatrix. »Es ist ein langer Weg bei der Kälte.«
    »Stille deinen Hunger niemals in der Nähe deines Hauses und niemals zweimal am selben Ort.« Er fasste beide am Arm. »Nein, wir werden uns weiter fort begeben, aber wir haben eine andere Art zu reisen. Heute Nacht werde ich euch eine der nützlichsten Gaben unseres Gefährten zeigen.«
    »Translokation!« Beatrix quiekte fast vor Aufregung.
    »Wie geht das, Stephan? Zeig es uns«, verlangte Asharti.
    »Zuerst müsst ihr den Vorgang an sich verstehen«, sagte Stephan geduldig. »Ihr ruft euren Gefährten, und er leiht euch seine Kraft. Wenn ihr genügend Kraft aufgenommen habt, ist ein Kraftfeld um euch entstanden, aus dem kein Licht dringen kann. Das bedeutet, dass niemand euch sehen kann.«
    »Du meinst, wir sind unsichtbar?«, fragte Beatrix verblüfft.
    »Ich habe es bei Robert gesehen«, sagte Asharti selbstgefällig.
    »Und dann, meine Lieblinge, verdichtet sich dieses Kraftfeld so sehr, dass es euch von der Stelle bewegt. Durch Übung könnt ihr lernen zu bestimmen, wohin ihr euch bewegen wollt.« Er sah, dass Asharti etwas sagen wollte, und hob

Weitere Kostenlose Bücher