Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)
dass die Ärzte ihm durch Schröpfen fast einen halben Liter Blut abgezapft hätten und dass sie sich große Sorge wegen seines beschleunigten Pulses machten, doch der Grund für all das sei einzig seine Liebe zu ihr. Beatrix wusste, dass Mrs. Fitzherbert einer ähnlichen Taktik erlegen war. Sie hatte gehört, dass bei White’s Wetten abgeschlossen worden waren – sie standen zurzeit bei zwei gegen eins –, dass Beatrix dem stürmischen Werben des Prinzregenten nicht standhalten würde. Jene Wetter würde ihre Dreistigkeit auf jeden Fall ärmer machten. Was kümmerten sie Leute wie der Prinzregent?
Was kümmerte sie überhaupt noch? Beatrix warf den Brief des Prinzen ins Feuer. Die Erinnerungen ließen sie nicht in Ruhe. Es war, als versuchten sie ihr Geheimnisse zu enthüllen, die sie nicht hören konnte, obwohl sie zu schreien angefangen hatten. Sie schaute nicht mehr in den Spiegel. Ihr Blick war wild. Sie musste ihren Hunger sättigen. Der Gefährte bedrängte sie, wisperte »Das Blut ist das Leben«, aber Beatrix erlaubte den jungen Männern, die ihr Blumensträuße brachten, nicht heraufzukommen, und es war auch nicht daran zu denken, nach Whitechapel zu verschwinden, um dort nach Blut zu jagen. Das alles schien zu viel für sie zu sein.
War Langley wieder in London? Sie hatte keine Möglichkeit, es in Erfahrung zu bringen.
Symington war noch nicht wieder zurück. Er hatte eine Nachricht geschickt, dass seine Schwester zurzeit zu krank zum Reisen sei, dass er aber hoffe, in der nächsten Woche zurückzukehren. Sie war allein. Sie war all das leid. Vielleicht war sie müde genug zum Schlafen. War es Tag? Sie wusste es nicht. Die schweren Vorhänge mochten eben jetzt das Sonnenlicht abwehren oder auch das Nachtleben Londons. Beatrix legte sich auf ihr zerwühltes Bett. Seit Tagen hatte sie keinen der Dienstboten mehr hereingelassen, um die Bettwäsche zu wechseln. Sie schloss die Augen.
Es war egal, ob Langley wieder zurück in London war. Es würde das Gleiche sein wie mit Stephan …
Burg Sincai, Transsilvanische Alpen, 1105
Beatrix sprang leichtfüßig vom Pferd, als sie den Stallhof der Burg erreicht hatte. Zwei Pferdeknechte eilten herbei, um ihre Stute wegzuführen und zu versorgen.
»Apollonia«, summte Beatrix und klopfte dem Pferd den schweißnassen Hals. »Du wirst heute Nacht eine Extraportion Hafer bekommen, weil du so ein tapferes Mädchen bist.« Nicht jedes Pferd war so mutig des Nachts im Wald, aber sie und die Stute hatten eine besondere Verbindung. Das Tier vertraute Beatrix, weil sie dafür sorgte, dass ihm nichts geschah. Beatrix kicherte bei dem Gedanken, dass ein Wolf es wagen könnte, sie anzugreifen. Seine Kühnheit wäre von sehr kurzer Dauer. Beatrix war stärker als jeder Wolf. Sie hatte heute Nacht die Wölfe gespürt, in der Dunkelheit unter den Bäumen, die kein Mondlicht durchdrang. Aber auch die Wölfe hatten sie gespürt und sich von ihr ferngehalten. Sie war die Herrin der Nacht, und sowohl Apollonia als auch die Wölfe wussten das.
Sie betrat den Turm durch die Hintertür und ging durch die Küche zu Stephans Zimmerflucht. Sie glühte innerlich. Es war nicht nur der Rausch des nächtlichen Ausritts, zu dem sie pünktlich wie ein Uhrwerk jeden Abend um zehn Uhr aufbrach und der stets eine oder zwei Stunden dauerte. Es war nicht ihr Gefährte, den sie mit Blut gesättigt hatte und der jetzt durch ihre Adern strömte. Beatrix war trunken vor Liebe. Die vergangenen sechs Monate waren der Himmel gewesen. Sie hatten zusammen gejagt, sie alle drei. Sie hatte gelernt, den Nervenkitzel dabei zu genießen, und sich dennoch den letzten Tropfen zu versagen. Immer, wenn sie Blut trank, dachte sie an Stephan und ließ ihre Lenden brennen, ganz egal, wer ihr gerade seinen Nacken darbot. Stephan sagte, sie wären nur Nahrung, aber für Beatrix war das Trinken des Blutes mit ihrer erwachenden Sexualität verknüpft. Asharti sagte, dass sie das auch so empfand.
Beatrix liebte Stephan mit einer Intensität, die sie nie für möglich gehalten hätte. Fast jeden Tag schliefen sie miteinander, und Stephan war behutsam und zärtlich. Er wiegelte stets ab, wenn sie ihm zu sagen versuchte, wie sehr sie ihn liebte, aber sie konnte seine Liebe zu ihr in seinen Augen sehen. Zu denken, dass Stephan nach all den Frauen in seinem langen Leben sie ausgewählt hatte, war … wunderbar.
Sie hatte in den letzten Monaten sehr darauf geachtet, freundlich zu Asharti zu sein. Asharti musste das von ihr
Weitere Kostenlose Bücher