Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)
wenn Stephan sie so seelenruhig betrog, so herzlos.
Beatrix hatte den gepflasterten Hof vor den Ställen zur Hälfte überquert, als eine wachsende Dunkelheit, schwärzer als die Nacht selbst, um sie herum und vor ihr aufwirbelte. Sie wandte sich um und rannte zur Pforte, die zum Wald führte. Er hatte sie mit zwei großen Schritten eingeholt. Seine Hand packte sie am Unterarm. Sie wirbelte herum, knurrend, ihre Augen rot glühend von ihrem Gefährten, ihre Zähne entblößt. Sie verkrallte sich in ihn und kämpfte gegen seinen Griff.
»Bea, Bea«, gurrte er. Sie zerkratzte ihm das Gesicht. Blut lief über seine Wange, bevor die Wunde sich wieder schloss. Sie tobte, schrie vor Wut und Enttäuschung. Doch seine Stimme erhob sich nicht über ein Flüstern. »Still jetzt. Ich verstehe es doch. Still.«
Urplötzlich hörte sie auf zu kämpfen. Sie war nicht die Einzige für ihn. Er liebte sie nicht. Ihre Lebenskraft schien aus ihr herauszuströmen. Sie wäre gefallen, hätte er sie nicht gehalten. Schluchzer stiegen in ihr auf und klagten in ihrer Kehle. Sie rang nach Atem. Die Schwärze am Rande ihres Blickfeldes hatte nichts mit ihrem Gefährten zu tun.
Stephan hob sie auf seine Arme. Sie klammerte sich an ihn, als er sie in die tiefere Dunkelheit des Stalles trug, in eine leere Box, in der Heu aufgetürmt lag. Sie sanken zu Boden, während sie schluchzte und mühsam nach Luft rang. Aber man konnte nicht für ewig so weinen, selbst wenn man es wollte. Bald bemerkte sie, dass er ihr Haar küsste und sie wiegte, seine Arme um sie geschlungen hatte. Sie konnte sein Herz in seiner Brust schlagen hören. Die Pferde in den gegenüberliegenden Boxen bewegten sich. Der tröstende Geruch von warmem Pferdefell und süß duftendem Heu hüllte Beatrix ein. Sie fühlte sich wie ausgedörrt, wie Staub, der davontrieb, verloren im Wind.
»Ich weiß, dass du verletzt bist. Du denkst, ich mache mir nichts aus dir. Aber das tue ich. Gott im Himmel, das tue ich«, flüsterte Stephan in der Dunkelheit, während sein Atem warm über ihren Hals strich. »Du bist wichtig für mich. Weitaus wichtiger als alles andere in meinem Leben. Aber du bist auch Teil von etwas Wichtigem für unsere Art, ein großes Experiment, wenn du so willst, das die Entwicklung unserer Art in den Jahrtausenden, die kommen werden, bestimmen wird.«
»Ich bin ein Experiment.« In ihrer Stimme war kein Zorn. Die Zeit für Zorn war vorbei.
»Auf gewisse Weise. Du und Asharti – ein wertvolles und kostbares Experiment.«
Seine Worte schlugen ein wie Nägel in ihren Sarg.
»Unsere Ältesten denken, wie du weißt, dass jene, die erschaffen werden, nicht so gut sind wie die, die mit dem Gefährten geboren werden. Sie würden die, die wie Asharti geschaffen wurden, töten. Verständlich auf gewisse Weise, weil die Geschaffenen so oft wahnsinnig werden, und weil sie wahllos töten.«
»Ich bin es gewohnt zu töten«, sagte Beatrix leise.
»Meine Rede. Du bist ein geborener Vampir, aber du bist nicht besser als einer, der geschaffen wurde. Es machte dich perfekt für meine Zwecke. Und von unserer Art werden nur noch so wenige geboren – meine Wahlmöglichkeiten waren begrenzt.«
Kein schmeichelhafter Grund, warum er sich entschieden hatte, sie zu retten.
»Ich wollte beweisen«, fuhr er leise fort, »dass mit Fürsorge und unter der entsprechenden Anleitung geborene und geschaffene Vampire gleich sind. Nicht, dass wir andere planlos schaffen sollten. Aber wenn zufällig einer geschaffen wird, muss er nicht getötet werden. Du und Asharti seid meine Chance, das zu beweisen. Ich werde euch zeigen, wie ihr weiterleben könnt. Ich werde euch auf ein reiches und produktives Leben vorbereiten.« Er hob ihr Kinn. »Du verstehst das, nicht wahr?«
»Ich verstehe, dass du mich nicht liebst.« Die Worte entrangen sich mühsam ihrer Kehle.
»Doch, das tue ich«, sagte er und sah ihr in die Augen, als würde das seine Aufrichtigkeit beweisen. »Ich liebe euch beide. Und wenn ihr zwei beweist, dass ihr als Geborene und als Geschaffene gleichermaßen fähig seid, euren Platz in der Gesellschaft einzunehmen, werden andere gerettet werden, jetzt und in der Zukunft.«
Es kümmerte sie nicht, Leben in der Zukunft zu retten. Sie wollte, dass Stephan sie liebte, jetzt. Aber ihre Kehle ließ jedes Wort, das sie hätte sagen können, ungesagt. Sie wiegte sich in seinen Armen, verdorrt und hohl. Nach einer Weile brachte sie heiser hervor: »Aber wie kannst du uns beide
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