Der Ruf der Wollust: Roman (German Edition)
gedacht, dich in London eliminieren zu können, aber du hast meinen bedauernswerten Helfern ein Schnippchen geschlagen. Ich hätte dich sofort erkennen müssen. Aber dein Französisch ist exzellent, und obwohl ich dir deine angebliche Neigung keinen Moment lang geglaubt habe – du strahlst einen sehr männlichen Duft aus, musst du wissen –, dachte ich dennoch, du würdest es vielleicht nur vortäuschen, um in mein Schlafzimmer zu gelangen. Was für ein kühner Schachzug, geradewegs mir nachzustellen! Woher wusstest du, dass ich es bin und nicht mein lieber, dummer Fanueille?«
John hielt den Mund. Er würde ihr nichts sagen. Wer immer sie war. Wer war sie?
»Ah. Natürlich, Dupré. Er muss es dir gesagt haben, bevor er gestorben ist. Wir hätten ihn schneller ausschalten sollen.«
»Sie haben die Wache bezahlt, ihn zu erschießen?«
»Ungeschickt, das gebe ich zu, aber letztlich doch effektiv, finde ich.«
Während er sprach, wuchs Johns Scham darüber, dass er sich so leicht hatte überwältigen lassen. War er denn ein Amateur, dass sie ihn so leicht hatte durchschauen können? Aber es würde noch schlimmer kommen, wenn er sich nicht aus ihrem Zugriff befreien konnte. Frauen konnten grausamer sein als jeder Mann, wenn es um Folter ging. Seine Waffe war zwecklos. Er hatte kein Messer und auch die Kapsel von Barlow nicht bei sich. Ein zartes Gewächs der Furcht wand sich durch seinen Magen. Wie konnte sie nur so stark sein? Und warum war sie nicht tot?
»Und jetzt«, sagte sie, die Hände wieder in die Hüften gestemmt, »muss ich mich für die Reise umkleiden.« Er sah zu, wie sie ihr Kleid von den Schultern streifte und zu Boden gleiten ließ. Sie legte ihr Hemd ab und schüttelte die Schuhe von den Füßen, während sie in ihr Ankleidezimmer ging, mit kerzengeradem Rücken, nur bekleidet mit ihren Strümpfen und Strumpfbändern. Vor dem Zimmer waren Geräusche zu hören, als machte sich dort jemand zu schaffen. John rappelte sich auf. Konnte er die Tür öffnen, indem er sich mit dem Rücken dagegenwarf und dann die Treppe hinunterlief, ehe Quintoc wieder auftauchte? Er war schon auf halbem Wege zur Tür, als er ihre Stimme hinter sich hörte.
»Welches von beiden, was denkst du?«
An der Tür angekommen, drehte er sich, um am Knauf herumzufummeln. Er schaute auf und sah sie, ihre schweren Brüste perfekt geformt, das Haar dunkel über ihrer Scham. Sie hielt zwei Kleider hoch, unbeeindruckt von seinem Fluchtversuch. Dreh dich, Knauf , dachte er. Verdammt! Dreh dich.
Sie stand noch immer reglos da und hielt die Kleider hoch. Während er sie beobachtete und am Türknauf herumfingerte, sah er etwas, das er nicht glauben konnte. Ihre Augen begannen rot zu glühen, blutrot, es war eine Farbe, wie kein Auge sie haben konnte. Eine Aura der Dunkelheit breitete sich um sie aus.
Er hörte auf, am Türknauf herumzufingern. Langsam richtete er sich auf. Ohne seinem Willen zu gehorchen, begannen seine Beine sich zu bewegen; er spürte, wie etwas ihn zu ihr zog. Dann stand er vor ihr, schaute hinunter in ihre blutroten Augen. Ehe er sich dagegen wehren konnte, kniete er vor ihr und neigte den Kopf. Er wollte aufstehen. Er hasste sie für die Tatsache, dass er sich hingekniet hatte.
»Ich habe jetzt keine Zeit dafür.« Er spürte einen harten Schlag gegen den Kopf. Dunkelheit kroch vom Rand seines Blickfeldes her auf ihn zu. Er fiel, fiel in rote Augen, und um ihn herum war nichts als Finsternis.
»Stellen Sie die Koffer in die Halle, Symington«, sagte Beatrix, ohne aufzusehen. Ihre Feder kratzte weiter über das schwere Papier der Karte. Eine Passage nach Amsterdam am Donnerstag. Dann den Rhein entlang nach Wien, durch Budapest, und in die Karpaten zum Kloster Mirso. Eine unbequeme Reise, aber es würde ohnehin ihre letzte sein.
Warum machte sie sich die Mühe, Entschuldigungen an ihre regelmäßigen Besucher zu schreiben? Sie würde keinen von ihnen je wiedersehen. Vielleicht wurde es so eine Art von Abschluss. Sie schloss mit ihrem Leben hier ab. Sie hatte ihre Kunstsammlung dem Prinzregenten überlassen, damit er sie dem britischen Volk zugänglich machte. Die Künstler, Dichter und Musiker, die sie unterstützt hatte, brauchten nichts. Sie stiftete stattdessen für Waisenhäuser und Hospitäler. Und sie hatte die Dienstboten bedacht. Es war eine betriebsame Woche gewesen. Sie hatte Jahresrenten für sie ausgesetzt, erkauft bei ihren überraschten Bankiers von Hoare’s mit Säcken von Goldmünzen mit
Weitere Kostenlose Bücher