Der Ruf des Abendvogels Roman
Tante auch noch sagen, welche Ängste und Befürchtungen sie quälten,seit sie Jack und Hannah zu sich genommen hatte. »Ich weiß, dass die Verantwortung sehr groß ist, und ich habe selbst kaum eigenes Geld, um für sie zu sorgen. Ich bin absolut nicht sicher, ob es die richtige Entscheidung war.«
Genau in diesem Augenblick stand Jack vor der Schlafzimmertür und hörte Taras Worte. Sein Herz setzte einen Schlag aus. Er war im Haus auf Erkundung gegangen und hatte zum ersten Mal seit dem Tod seiner Eltern von einer glücklichen Zukunft in einem schönen Heim zu träumen gewagt. Nerida war nett zu ihm gewesen, und Sanja, auch wenn er etwas seltsam zu sein schien, hatte Kinder offensichtlich gern. Vor allem aber mochte er Ethan. Er hatte geglaubt, Tara habe ihn und Hannah gern bei sich, doch es schien, als bereue sie schon, ihn und seine Schwester zu sich genommen zu haben. Er wandte sich um und floh die Treppe hinunter und zur Vordertür hinaus.
»Tara, worüber um Himmels willen machst du dir Sorgen?«, meinte Victoria. »Tambora ist dein Zuhause, und du kannst die Kinder hier großziehen. Du wirst ihnen eine wundervolle Mutter sein, und alles wird gut, glaub mir.«
Wieder stiegen Tara die Tränen in die Augen, und sie wusste vor Rührung und Erleichterung nicht mehr, was sie sagen sollte. »Wenn du sagst, dass alles gut wird, glaube ich plötzlich selbst daran – du bist so gütig, Tante Victoria!«
Doch ihre Tante winkte ab. »Mit Güte hat das alles überhaupt nichts zu tun. Du machst dir keine Vorstellung, wie froh ich bin, euch hier zu haben!«
Tara spürte die Zuneigung, die ihre Tante ihr entgegenbrachte. Wie hätte sie ihr in diesem Moment sagen können, dass sie nicht wusste, ob das Leben im Outback das war, was sie wirklich wollte – besonders, da sie keine anderen Möglichkeiten hatte? Sie wollte tun, was für die Kinder am besten war, und heimatlos zu sein erschien ihr nicht eben erstrebenswert, vor allem, wo sie sich ohnehin schon auf der Flucht vor den Gesetzen befanden. »Die Kinder sind mir mittlerweile sehr ans Herz gewachsen.«
»Das weiß ich – man hört es in deiner Stimme, wenn du von ihnen sprichst. Du gehörst zur Familie, Tara, und dadurch tun sie es automatisch auch. Ich bin sicher, dass ich sie ins Herz schließen werde!«
Tara sah, wie ein Schatten über die Züge der Älteren flog, und fühlte, wie Panik in ihr aufstieg. »Was ist, Tante Victoria?«
»Ich musste gerade an Tadd denken«, gab die Ältere zurück. »Er hat mir seit Toms Tod ein bisschen die Familie ersetzt. Aber jetzt bin ich erst einmal froh, dich und die Kinder hier zu haben. Ich kann es gar nicht erwarten, sie kennen zu lernen!«
»Soll ich sie herholen?«
»Nein, Liebes. Wir trinken unseren Tee aus und gehen dann nach unten.«
Tara sah das Frühstückstablett auf dem Nachttisch neben dem Bett ihrer Tante und fragte sich, ob diese wohl sonst den größten Teil des Tages in ihrem Zimmer verbrachte. »Ich bin sicher, dass Jack auch sehr neugierig auf dich sein wird. Die arme Hannah ist noch sehr klein; sie begreift kaum, was vor sich geht.«
»Sie gewöhnen sich bestimmt schnell ein – und es wird schön sein, Kinder im Haus zu haben!«
Tara blieb eine Weile still. Victoria schien sich zu fragen, warum ihre Nichte keine eigenen Kinder hatte. Sie hatte auch noch nicht von ihrem Mann erzählt.
»Ich habe mir immer eine Familie gewünscht«, sagte Tara, als habe sie ihre Gedanken gelesen. »Ich bin nur nie schwanger geworden. Die Zigeuner haben mir alle möglichen Tränke und Kräuter verabreicht, und ich habe alle Tricks ausprobiert, die sie kannten, aber es hat nie geklappt.«
»Dafür kann es alle möglichen Gründe geben, Tara. Manchmal braucht es einfach etwas Zeit. Ich habe zu spät damit angefangen, aber für dich ist es noch früh genug.«
Taras Augen begannen verdächtig zu glänzen. »Ich habe aber keinen Ehemann, Tante Victoria. Wir sind auseinander gegangen, als ich Irland verließ.«
»Oh – das muss sehr schwer für dich gewesen sein. Aber um ehrlich zu sein, tut es mir nicht sehr Leid. Ich habe nie geglaubt, dass das Leben mit den Zigeunern das Richtige für dich war.«
Tara lächelte. »Du hast Recht, das war es auch nicht. Und Garvie war auch nicht der richtige Mann für mich.« Sie erzählte ihrer Tante zwar, dass er im Gefängnis saß, ging aber sonst nicht näher darauf ein. Sie tranken schweigend ihren Tee zu Ende, und Tara dachte, dass ihre Tante sich ganz wundervoll verhalten
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