Der Ruf des Abendvogels Roman
sehr bald.
Victoria bemerkte Taras besorgte Stimmung und wechselte das Thema. »Du hast sicher noch nicht viele von den Farmhäusern hier draußen gesehen, aber die ersten Siedler haben Häuser wie in Europa gebaut, statt sich Heime zu schaffen, die sie vor der Hitze schützten. Fast alle sind einstöckig gebaut, aber immerhin besaßen einige Farmer Verstand genug, Veranden vor den Eingang zu bauen.«
»Ich habe im Wombat-Creek-Hotel Bilder von einigen Häusern gesehen – aber das hier ist mit großem Abstand am schönsten.«
Victoria lachte. »Tom hätte dich gemocht!«
»Es tut mir so Leid, dass du deinen Mann so früh verloren hast,Tante Victoria«, meinte Tara ernst. »Du hast so lange auf ihn gewartet!«
Wieder lachte Victoria leise auf. »Das klingt, als sei ich damals eine alte Jungfer gewesen!«
»So habe ich es nicht gemeint!«, protestierte Tara errötend.
»Das weiß ich doch! Du bist noch genauso ehrlich wie früher.«
Als sie unten ankamen, trat Ethan auf sie zu, und er und Victoria begrüßten einander mit großer Herzlichkeit. Tara glaubte zu bemerken, dass Ethan bei Victorias Anblick ein wenig erschrak. Sie erinnerte sich an seine Bemerkung, Victoria seit einigen Monaten nicht mehr gesehen zu haben.
»Du siehst sehr ... glücklich aus«, sagte er. »Der Besuch deiner Nichte scheint dir gut zu tun.«
»Es ist ganz einfach wunderbar, sie zu sehen«, erklärte Victoria. »Vielen Dank, dass du sie hergebracht hast. Ich habe Tara gar nicht gefragt, wie und wo ihr beiden euch kennen gelernt habt!«
Ethan sah Tara an, und in seinen Augen glitzerte Mutwillen. Sie wirkte dagegen ein wenig unbehaglich. »Sie war gerade in Wombat Creek aus dem Zug gestiegen und vollkommen überwältigt von ... der herben Schönheit des Landes«, sagte er grinsend.
Tara blitzte ihn warnend an. Er sollte es nur wagen zu erzählen, dass er sie schluchzend vor dem Hotel im Staub gefunden hatte!
Victoria lachte leise. »Ich erinnere mich noch gut an meine eigene Ankunft hier. Ich war auch vollkommen überwältigt, aber das hatte absolut nichts mit der herben Schönheit des Landes zu tun. Ich hasste das Outback, und es war fast unmöglich, meine Gefühle vor Tom zu verbergen. Ich habe mich wochenlang in den Schlaf geweint.«
Tara starrte sie überrascht an. »Aber du bist noch hier«, stellte sie verwundert fest. Victoria legte ihr einen Arm um die Schultern. »Wir Killains sind eben sehr zäh«, sagte sie.
Jetzt kam Hannah mit Nerida den Flur entlang. »Sehen Sie, Missy Victoria!«, rief Nerida. Sie war offensichtlich begeistertvon der Kleinen, besonders von deren goldenen Locken, die sie immer wieder berührte. Tara musste wieder an die Kinder der Aborigines denken, die ihren Eltern fortgenommen wurden – was für ein Wahnsinn!
Als Hannah nah genug herangekommen war, dass Victoria sie sehen konnte, sagte diese: »Oh Tara, sie ist einfach entzückend!«
Das kleine Mädchen schien ein wenig verwirrt durch die vielen neuen Gesichter.
»Wo ist Jack?«, wollte Tara wissen und versuchte, sich die Angst nicht anmerken zu lassen, die sie beim Gedanken an die Schlangen wieder überkommen hatte.
»Er muss draußen sein«, meinte Ethan. »Ich habe gesehen, wie er auf Erkundungsreise gegangen ist.«
Tara starrte ihn entsetzt an. »Ich gehe ihn suchen«, meinte sie und eilte hinaus.
Victoria begab sich in den großen Salon und setzte sich in ihren Lieblingssessel. Sie rief Hannah zu sich, aber die Kleine war noch zu scheu und kam erst heran, als Victoria einige Süßigkeiten von einem Tablett neben ihrem Sessel nahm. »Was gibt es Neues in der Gegend?«, fragte sie Ethan, der mit hereingekommen war. »Was hat Sadie Jenkins vor, und wie geht es Ferris und Percy? Das Funkgerät spielt verrückt, und ich habe seit Wochen mit keiner Menschenseele mehr gesprochen.«
Ethan erschrak bei dem Gedanken, dass Victoria vom Rest der Welt völlig abgeschnitten sein sollte, vor allem jetzt, wo Tara und die Kinder bei ihr waren. Er nahm sich vor, nach dem Gerät zu sehen und es wenn möglich zu reparieren, bevor er wieder abreiste.
Tara fand Jack bei den Hundezwingern. Ihr Herz schlug rasch vor Erleichterung, als sie auf ihn zuging. »Ich habe dich gesucht«, stieß sie atemlos hervor und prüfte mit einem hastigen Blick in die Runde, ob irgendwo Schlangen zu sehen waren. Als sie sich schließlich Jack zuwandte, sah sie, dass er wegen irgendetwas besorgt war.
»Meine Tante würde dich gern kennen lernen«, sagte sie.
Jack tat, als
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