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Der Ruf des Abendvogels Roman

Titel: Der Ruf des Abendvogels Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
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waren. Offensichtlich hielt er sich für so etwas wie einen inoffiziellen Führer oder Vertreter seines Landes, der den Reisenden gern alles über den Zug und die Orte erzählte, an denen sie vorüberkamen.
    »Der Ort wurde ausgewählt, weil er nahe an einem Pass über die Flinders-Berge liegt, sodass man von hier aus das Getreide und die Wolle von den Farmen jenseits der Berge, wo man fruchtbaren Boden vermutete, gut verschiffen konnte. Doch das Meer erwies sich dann als zu flach. Die Schiffe konnten nicht nahe genug an die Küste herankommen, und deshalb musste der lange Pier bis zu den Schiffen hinausreichen.«
    Die Landschaft war meist braun und sehr, sehr trocken. »Dürreperioden«, erklärte Virgil ihnen, »sind in Südaustralien keine vorübergehende Erscheinung, sondern das ganz normale Klima. Wenn die Regenzeit kommt, ist das Land fruchtbar und ergiebig, aber wenn sie ausbleibt, bringt es Kummer über seine Bewohner und lässt ihre Träume zerplatzen.«
    Die Ruinen ehemaliger Farmhäuser waren ein deutlicher Beleg für Virgils Worte. Er hatte den Reisenden auch erklärt, dass die europäische Art der Landwirtschaft den empfindlichen Boden nachhaltig schädigte, indem die oberste Schicht zu Staub zerstampft und dann entweder vom Wind weggetragen oder von einem der seltenen, aber heftigen Gewitterstürme fortgeschwemmt wurde. Die weich gepolsterten Tatzen der Kängurus und Wallabys schadeten der Erde nicht, doch die Hufe von Schafen und Rindern machten sie hart, sodass das Getreide nicht wuchs und die Wüste sich ausbreitete.
    Während des Abendessens passierte der Zug Port Augusta, hinter dem, wie der Schaffner berichtete, die endlose Steppenlandschaft des ›Outback‹ begann. Der Hafen wurde von Schiffen aus aller Welt wegen seiner sicheren Ankerplätze geschätzt. Der Anleger ging vom Scheitelpunkt einer tief ins Land hineinreichenden Bucht aus, in der die Gezeiten nur noch minimal spürbar waren. Als Folge davon war das Wasser extrem salzhaltig.
    »Seeleute, die betrunken von den Schiffen fielen, glaubten deshalb, sie würden nicht ertrinken«, berichtete der Schaffner augenzwinkernd.
    »Und – hatten sie Recht?«, fragte Tara.
    »Sie sind auf dem Friedhof der Stadt beerdigt«, erwiderte Virgil, »also kann ich mit Gewissheit sagen, dass ihre Theorie sich als falsch erwiesen hat.«
    Tara war fasziniert vom so genannten ›Salzbusch‹. Virgil erklärte ihr, es sei ein sehr ausdauernder Strauch, der in der Nacht Flüssigkeit aufnehme und sogar an Stellen, wo keine andere Pflanze gedeihen konnte, als Futter für die Schafe dienen würde.
    Der Zug fuhr weiter nach Norden, ließ Port Augusta, Port Germein, die Salzbüsche und damit auch das Gebiet der Schaffarmen hinter sich. Als Jack enttäuscht feststellte, dass man vom Zugfenster aus überhaupt keine Tiere sah, erklärte Virgil dem Jungen, dass die meisten Tiere Australiens Nachttiere seien. Sie würden in der Kühle der Wüstennacht hervorkommen und sich Futter und Feuchtigkeit suchen, um den nächsten Tag in der glühenden Hitze zu überstehen. Jack freute sich, als er einen Trupp Wildesel sah, die unter Bäumen Schatten suchten. Als es dunkel wurde, tauchten Kängurus und Emus wie aus dem Nichts auf. Auch Hannah war von den Tieren begeistert.
    Während die Passagiere des ›Ghan-Train‹ schliefen, fuhr der Zug über den ›Pichi-Pichi-Pass‹ in den Flinders-Bergen, dann durch Hawker, Leigh-Creek und weiter nach Marree. Als Sorrel nach der Ankunftszeit in Alice gefragt hatte, hatte man ihr geantwortet, die Fahrtzeit sei eher eine Frage der Hoffnung, als dass man sichere Angaben machen könne. Anscheinend verschworen sich die Elemente des Öfteren gegen den Zug, und dann war nicht nur die Ankunftszeit unbestimmt, sondern der Tag und manchmal sogar die Woche. Auf alle Fälle galt der Weg nach Alice und zurück als Abenteuer, und Virgils nächste Worte konnten das nur bestätigen.
    »Einmal sind wir mit sechs Wochen Verspätung angekommen.«
    Tara und Sorrel hatten sich befremdet angesehen.
    »Damals hatten heftige Überschwemmungen Schienenstränge und Brücken fortgespült«, hatte der Schaffner ihnen erklärt.
    »Überschwemmungen? Heute Nachmittag haben Sie uns doch gesagt, dass in Südaustralien meistens Dürre herrscht!«
    »Das schon. Aber manchmal gibt es auch heftige Unwetter und Überschwemmungen. Einmal haben wir zwei Wochen lang am Ufer eines Flusses festgesessen. Uns ging das Essen aus, und der Zugführer musste wilde Ziegen schießen, um

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