Der Ruf des Abendvogels Roman
großen, ungeordneten Haufen, und alles hatte die gleiche rostrote Farbe wie die Wüste, die es umgab.
Die Reisenden schlenderten auf einem breiten, ungeteerten Weg durch den Ort, der sich ›Hauptstraße‹ nannte und nur von einem verrückten Pferd, ein paar Kamelen und einer Herde Ziegen benutzt wurde. Wo die Straße begann, war nicht so genau auszumachen, doch sie endete eindeutig am Bahnhof. Die Gruppe wanderte weiter zu den ›Einkaufsmärkten‹, wie sich die drei unglaublich heruntergekommenen kleinen Läden nannten. Die Wüste schien langsam, aber sicher in die Stadt vorzudringen und allem entlang der Straße ihren roten Stempel aufzudrücken. Kaum ein Grashalm durchbrach die Eintönigkeit des Bildes. Es herrschte eine unglaubliche Stille, in der die wenigen Geräusche umso deutlicher zu hören waren: Das Sirren der Buschfliegen und die gelegentlichen Rufe eines Kakadus ... Da es keine Bäume für den Nesterbau gab, wurde Marree sogar von den Vögeln gemieden.
Vor den Geschäften stand eine hölzerne Bank, auf der einige Aborigines in der Sonne saßen und in die Wüste hinausstarrten. Die Blicke ihrer dunklen Augen suchten den Horizont ab, auf der Suche nach etwas, das die Europäer nicht kannten, und aufGeräusche lauschend, die nur sie allein hören konnten. Sogar durch das Herannahen der Fremden ließen sie sich nicht stören.
Tara, Sorrel und die Kinder betraten eines der drei Geschäfte und stellten fest, dass es von einem arabisch wirkenden Händler geführt wurde. Er stellte sich als ›Mohomet Basheer‹ vor. Seine bescheidene Blechhütte war innen überraschend geräumig. Dadurch, dass sowohl die vordere als auch die hintere Tür offen stand, wehte ein stetiger Luftzug durch die Hütte, und so war es nicht so glühend heiß, wie man hätte vermuten können.
Auf langen Ständern reihten sich Kleider aneinander, meist formlose Hänger in großen Größen. Tara starrte überrascht auf die lebhaften Farben.
Unter den wenigen Kleidern in ihrer Größe fand Tara drei, die ihr gefielen und nicht zu bunt waren. Sie fragte Mohomet, wo sie sie anprobieren könne, denn die Aborigines waren ihnen in das Geschäft gefolgt und hatten ihnen interessiert bei ihren Einkäufen zugeschaut.
Mohomet führte Tara in einen kleinen Raum, der seitlich an die Hütte grenzte. Obwohl ziemlich eindeutig zu erkennen war, dass es sein Zimmer war, bestand er darauf, dass sie es nutzte. Tara konnte ihn nebenan mit Sorrel reden hören und jedes Wort verstehen, während sie verschiedene Sachen anprobierte – darunter auch einen Badeanzug. Die Reisenden im Zug hatten von zwei großen Seen weiter im Norden gesprochen, Lake Eyre und Lake Eyre South. Die Hitze machte die Aussicht auf ein Bad sehr verlockend. Insgeheim hoffte sie sogar darauf, vielleicht doch noch schwimmen zu lernen.
»Hat Alice Springs mehr Einwohner als Marree?«, erkundigte sich Sorrel nebenan.
Tara lächelte, weil es so hoffnungsvoll klang, und fürchtete gleichzeitig, die Antwort werde all ihre geheimen Befürchtungen wieder aufleben lassen.
»Oh ja, viel größer, Madam. Zu viel Gedränge für mich. Ich ziehe die Ruhe hier in Marree vor.«
Tara hörte Sorrels erleichterten Seufzer, doch ihre eigenen Ängste waren nicht so leicht aus der Welt zu schaffen. Sie dachte sehr ungern darüber nach, wie Mohomets Vorstellungen von einer ›größeren Stadt‹ aussehen mochten. Ein paar Geschäfte und zwanzig Häuser mehr, eine richtige Polizeistation? Sie fragte sich, was Menschen dazu bewegen mochte, ins Herz Australiens zu ziehen. Sie selbst empfand ganz sicher keinerlei Begeisterung für dieses entmutigend staubige, rote, unfruchtbare Land, und sie wusste, dass es Sorrel ebenso ging.
Sorrel war gleich aufgefallen, dass Mohomet sehr teuren Schmuck trug. Um seinen Hals hingen einige goldene Ketten mit edelsteinbesetzten Medaillons daran, und an seinen Handgelenken sah sie dicke goldene Armbänder.
»Warum bleiben Sie hier?«, fragte sie zu ihrer eigenen Überraschung.
Mohomet starrte sie verblüfft an.
»Entschuldigen Sie, dass ich es einfach ausspreche, aber Sie scheinen recht wohlhabend zu sein.« Sorrel neigte normalerweise nicht dazu, so persönliche Dinge anzusprechen. Anscheinend trübte die Hitze ihren Verstand – oder, um genau zu sein, fühlte sich Sorrel insgesamt reichlich seltsam.
»Ich brauche kein Geld, Madam«, erwiderte Mohomet schließlich. »Ich lebe ausschließlich dafür, meine Kunden zufrieden zu stellen.« Es klang absolut aufrichtig,
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