Der Ruf des Abendvogels Roman
und das verwirrte Sorrel noch mehr. »Aber warum ausgerechnet hier?«, beharrte sie. »Wo es nichts gibt als Staub und ... Fliegen?« Tara hörte den Ekel, der in ihren Worten mitschwang.
Mohomet lächelte und antwortete sanft: »Ich liebe das Wüstenklima, Madam. Es ist genauso wie in meiner Heimat, im Libanon, und was die Fliegen angeht, so haben sie, wie alles, ihren Sinn.«
Sorrel schüttelte den Kopf, und Mohomet musste erkennen, dass es wohl keine Erklärung gab, die sie zufrieden gestellt hätte. Sie würde wohl sehr lange brauchen, bevor sie verstehen konnte, wie die Menschen hier im Outback glücklich sein konnten.
»Früher habe ich meine Waren als fliegender Händler überall zwischen Marree und Oodnadatta verkauft und bin noch bis zu den abgelegenen Farmen gefahren«, fuhr er fort, während er die Sachen auf den Kleiderstangen ordnete. »Aber jetzt bin ich zu alt, um weit zu reisen. Das hier«, er machte eine alles umfassende Geste, »ist mein Ruhestand.«
Sorrel starrte ihn verständnislos an. Wie konnte er einen solch trostlosen Ort lieben?
»Ich sehe, dass Sie skeptisch sind, Madam«, fuhr er fort. »Aber ich habe weite, offene Räume gern. Es gibt nichts Schöneres, als meilenweit über das Land zu blicken und keine Menschenseele zu sehen.« In seinem Blick stand tief empfundene Freude, so als sei das Nomadenleben seines Volkes für ihn eine angeborene Leidenschaft. Sein Enthusiasmus rührte Sorrel. Vielleicht musste sie ihren ersten Eindruck von diesem ›gottverdammten Land‹ noch einmal überdenken.
Mehr als eine Woche verging, und die Bahnlinie war noch immer nicht repariert. Nicht nur, dass die Gleise sich durch die große Hitze verzogen hatten, nun fanden die Bahnarbeiter auch noch heraus, dass die Schwellen von Termiten angefressen worden waren. Die Strecke musste auf vielen Meilen untersucht werden, um ein Entgleisen des Zuges zu verhindern. Einen Tag nach dem unfreiwilligen Halt wurden die verderblichen Güter, unter anderem zwanzig Kisten mit Orangen und fünfzehn Kisten voller Grapefruit aus dem Riverland, außerdem eine Auswahl verschiedener Gemüsesorten, auf Kamele geladen und so zusammen mit der Post nach Alice transportiert. Jack, der an diesem Morgen sehr früh wach gewesen war, hatte die Kamele durch den Ort ziehen sehen und fasziniert zugeschaut, wie die lange Karawane der seltsamen Tiere ihre Last in die Wüste hinaustrug, während die aufgehende Sonne ihren Weg beleuchtete. Diesen Anblick sollte der Junge niemals vergessen.
Die Ungewissheit, wann sie Marree endlich verlassen würden, beunruhigte Sorrel, Tara und die anderen Reisenden. Die Kinderhatten sich mit den einheimischen Aborigines-Kindern angefreundet und spielten mit ihnen – nur Jack blieb für sich. Er sagte kaum ein Wort, und wenn, dann beklagte er sich über die Stadt. Oft saß er allein auf den Treppen vor dem Hoteleingang oder auf sonst irgendeiner Stufe im Schatten, wo sich manchmal Hannah zu ihm gesellte. Es brach Tara fast das Herz, ihn trauern zu sehen und Hannah immer wieder nach ihrer Mutter weinen zu hören – aber sie konnte nichts tun.
Die Tage vergingen, und die Kleine weigerte sich immer noch, irgendetwas vom Hotelessen anzurühren. Tara begann, sich große Sorgen zu machen.
»Sie ist so zart«, sagte sie zu Sorrel, »und sie hat den ganzen Tag noch nichts gegessen! Ich finde einfach nichts, was ihr schmeckt – sie mag nicht einmal Milch!«
»Und – kannst du ihr das verdenken?«, erwiderte Sorrel. »Das Kind ist eben keine Ziegenmilch gewöhnt, und das Essen ist wirklich schrecklich. Wir haben alle abgenommen, bis auf die Australier. Die scheinen einfach alles zu essen.«
»Wir dürfen uns nicht beklagen«, meinte Tara. »Wir sind mitten im Busch, und es gibt überall Engpässe.«
»Ich weiß. Aber du wirst etwas finden müssen, was Hannah mag, sonst wird sie noch krank!«
Am folgenden Nachmittag entdeckte Tara Hannah im Spiel mit einem kleinen Aborigines-Mädchen. Sie kaute zufrieden auf etwas herum, das ihren Mund und ihre Zähne schwarz färbte. Da Tara wusste, dass die Einheimischen auch Würmer und Schlangen aßen, untersuchte sie das Essen sehr genau. Sie stellte fest, dass es eine Art Brot war, das die Einheimischen ›Damper‹ nannten. Es wurde aus Pflanzen und Wasser zusammengerührt und dann in der heißen Asche ihres Lagerfeuers ausgebacken. Tara war so unglaublich erleichtert, als sie Hannah wieder essen sah, dass sie fast geweint hätte.
Im Lauf der Zeit stellte sie fest,
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