Der Ruf des Abendvogels Roman
tiefer, heiserer Schrei ließ sie zusammenfahren, und sie spürte den Atem des Tieres, von dem sie sicher war, dass er Blumen zum Welken bringen konnte.
Tara blickte auf die Kinder hinab: Hannah war entsetzt, doch Jack freute sich offensichtlich über die Aussicht auf einen Kamelritt. In einiger Entfernung standen noch andere Kamele nicht weit vom Hotel in der Sonne, bewacht von einem Turban tragenden Mann, der im Schatten des einzigen Baums nahe bei einem Wassertrog hockte.
Tara war klar, dass sie keine Wahl hatte. Wenn sie nachTambora wollten, mussten sie mit Ethan Hunter reisen – und das bedeutete, entweder auf einem Kamel zu reiten oder zu laufen. Letzteres war nicht gerade reizvoll, doch das Erste schien ihr ebenfalls eine erschreckende Aussicht.
Sie bemühte sich, tapfer zu erscheinen, doch in Wirklichkeit waren ihr die Knie plötzlich weich geworden.
8
E than holte den Postsack, den Virgil Walcott an einem Pfos- ten neben den Schienen aufgehängt hatte. »Ich bin der Aushilfsbriefträger, solange Rex Crawley krank ist«, erklärte er, als er Taras Blick bemerkte.
»Gibt es hier draußen wirklich einen Briefträger?« Sie konnte es kaum glauben. Die Farmen lagen sicher sehr weit auseinander in verschiedenen Richtungen.
»Wir wohnen vielleicht ein bisschen abgelegen, aber ein paar Errungenschaften der Zivilisation haben wir schon«, gab Ethan zurück.
Tara hörte den Anflug von Gekränktheit in seiner Stimme, doch sie beschloss, das zu ignorieren, und blickte sich jetzt aufmerksamer um. In der Nähe des Hotels gab es nichts, was einer Fuß- oder Fahrspur auch nur im Geringsten geähnelt hätte, kein Zeichen dafür, dass jemand angekommen oder irgendwo hingegangen war.
»Ich glaube Ihnen ja – aber Ihre einzige Verbindung zur Zivilisation scheint diese einsame Bahnlinie zu sein. Wie oft wird die Post eigentlich ausgeliefert? Einmal im Vierteljahr oder eher jährlich?«
Ethan zog die dunklen Brauen zusammen. »Rex liefert alle vierzehn Tage aus. Wenn ich mit den Kamelen unterwegs bin, brauche ich einen Monat für dieselbe Entfernung.« Er bemerkte ihren angewiderten Blick zu den Kamelen und grinste, wobei in der gebräunten Haut um seine Augen herum kleine Fältchen entstanden. »Rex und ich stehen sozusagen in ständigem freundlichen Wettbewerb.«
»Also sind Pferde schneller als Kamele?«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass es in der Stadt keine Pferde gibt. Rex fährt einen Packard, einen amerikanischen Geländewagen, und ...«
Tara unterbrach ihn verblüfft. »Ein Automobil, und das hier draußen?« Der Gedanke daran trug entscheidend dazu bei, ihre Lebensgeister zu heben. Vielleicht war dieses Land doch nicht ganz so primitiv, wie sie gedacht hatte?
Ethan nickte. »Es ist hart wie Stahl, und, wie ich gerade sagen wollte, viel schneller als Kamele, aber nicht annähernd so zuverlässig. Ein Kamel bleibt nicht im Sand stecken, und es geht auch nicht in jeder Wasserlache unter.«
Ethans letzte Worte gingen an Tara vorbei, der die Fahrt in Riordan Magees Automobil wieder eingefallen war. Sie hatte sie, trotz der seltsamen Umstände, sehr genossen. Plötzlich kam ihr eine glänzende Idee. »Vielleicht könnte Mr. Crawley uns nach Tambora fahren?«
Jetzt war es Ethan, der verblüfft wirkte.
Tara glaubte, ihn getroffen zu haben, und fühlte Genugtuung in sich aufsteigen, denn er war unerträglich unhöflich gewesen. Sie blickte zu den Kindern hinüber und begegnete Jacks fragendem Blick, und ihr fiel auf, dass sie wohl kein gutes Vorbild abgab.
»Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie uns nach Tambora bringen wollen«, zwang sie sich zu sagen. »Aber in einem Automobil wäre die Reise bequemer und, wie Sie selbst sagen, auch schneller. Ist Mr. Crawleys Wagen kaputt? Liefern Sie deshalb die Post für ihn aus?«
Ethans einer Mundwinkel zuckte. Er war offensichtlich belustigt, ohne dass Tara einen Grund dafür erkennen konnte. Vor seinem geistigen Auge sah er Rex, wie dieser in seinem Packard über die Dünen holperte und dabei wie ein Verrückter lachte. Irgendwie passten Tara und die Kinder nicht in das Bild. Obwohl er fand, dass es ihr ganz recht geschähe, mit Rex zu reisen, und sei esauch nur für eine kurze Strecke. Er selbst war in der Wüste schon in Wirbelstürme geraten und hatte mehr Sandstürme mitgemacht, als er zählen konnte, doch seine Fahrt mit Rex nach Leigh Creek war und blieb die schrecklichste Reise seines Lebens. Lieber hätte er das wildeste unter den wilden Kamelen geritten,
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