Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Ruf des Abendvogels Roman

Titel: Der Ruf des Abendvogels Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
Vom Netzwerk:
fehlenden Ziegel, kein fehlendes Brett im Boden der Veranda. Die Farbe der Außenwände war zwar zu einem undefinierbaren Braunton geworden, schlug jedoch nirgendwo Blasen und blätterte auch nicht ab. Die beiden Fenster zur Vorderseite waren sauber und mit Spitzenvorhängen versehen, und die Veranda war offensichtlich erst vor kurzem gefegt worden. An ihrem einen Ende stand ein Schaukelstuhl, und zu beiden Seiten der Tür fast leere Blumenkübel, die vertrocknete Pflanzenreste enthielten und Charlottes Kampf gegen Hitze und Wind dokumentierten.
    Tara klopfte an und hörte eine Frau »Herein« rufen. Die Stimme klang einladend und erfreulich nett. Bis zu diesem Augenblick hatte sie noch niemand in der Stadt in dieser Hinsicht überrascht.
    Tara fragte sich, ob sie beim Herankommen beobachtet worden war oder ob Charlotte vielleicht jemand anderen erwartet hatte. Sie rief sich die Worte der Männer im Hotel in Erinnerung, als sie ihnen gesagt hatte, sie wolle Charlotte besuchen gehen. Sie hatten nichts Bestimmtes gesagt, aber ihre Reaktionen waren ein wenig seltsam gewesen.
    Tara stellte den Käfig mit den Hühnern auf der relativ kühlen, nach Osten hin gelegenen Terrasse ab und trat ein. Sie hatte erwartet, von Charlotte begrüßt zu werden, doch stattdessen fand sie sich zu ihrer Verwunderung allein in einem mit Plüschmöbeln eingerichteten Wohnzimmer wieder. Besonders überraschte sie, dass Charlotte offenbar wohlhabend war. Das hatte ihr niemand gesagt, und sie hatte in Wombat Creek auch niemanden zu finden erwartet, der nicht aus wirtschaftlichen oder familiären Gründen zum Bleiben gezwungen war.
    Das Sofa und die Sessel waren in einem auffälligen Rotton gehalten, beige Spitzendeckchen schmückten die Armlehnen und Rücken. Einige dicke, bestickte Kissen lagen auf den Sesseln und dem Sofa, und ein rot-blauer Orientteppich bedeckte den Boden in der Mitte des Raumes. Auch das war eine Überraschung für Tara, denn er sah zu wertvoll aus, als dass man gewagt hätte, seinen Fuß darauf zu setzen. Eine Messinglampe mit Stoffschirm und königsblauen Fransen stand in einer Ecke neben einem wohlsortierten Bücherregal.
    Mitten auf dem Teppich prangte ein polierter Kaffeetisch mit einem Zigarettenspender aus Messing und einem glänzenden Feuerzeug.
    Tara hob den Blick, um das Bild an der Wand zu betrachten, und stieß überrascht den Atem aus. Es stellte eine Tänzerin dar, die Tara zuerst für eine Spanierin hielt, die jedoch ganz sicher eine Zigeunerin war. Sie trug große, runde Ohrringe, eine kurze Bluse und einen roten Rock, und ihre Kleidung ließ die vollen, kaffeefarbenen Brüste ebenso sehen wie die gebräunten, wohlgeformten Oberschenkel.
    Es war ein wunderschönes, verführerisches Kunstwerk, doch Tara hatte das Gefühl, als sei es eher als schmückendes Beiwerk für die übrige Einrichtung gekauft worden. In einer Ecke stand ein kleiner Teewagen mit Likörflaschen darauf. In der ansonsten überaus gemütlichen Atmosphäre des Raumes fiel die Abwesenheit von Familienfotos oder anderen Erinnerungsstücken auf.
    Insgesamt war es ein sehr schönes Zimmer, und das Fehlen von persönlichen Dingen machte Tara nur umso neugieriger auf Charlotte Preston. Es war umso merkwürdiger, weil zum Beispiel das Hotel vollgestopft war mit Dingen, die auf die Persönlichkeit der talentierten oder auch ein wenig eigenwilligen Bewohner der Gegend hindeuteten.
    »Hallo?«, rief Tara in die Stille hinein.
    Jetzt tauchte an der Wohnzimmertür eine Frau auf, deren Miene Überraschung spiegelte und die sich damit abmühte, die Lockenwickler aus ihrem goldblonden Haar zu ziehen. Wenn Tara ihr hätte schmeicheln wollen, hätte sie sie auf ungefähr fünfzig bis fünfundfünfzig Jahre geschätzt, und diese Jahre waren nicht gerade freundlich mit ihrem Gegenüber umgegangen.
    Die Züge der Frau waren faltig, sie wirkte müde, und alles wurde noch verschlimmert durch die dicke Schicht Make-up, die fast ein wenig theatralisch wirkte, besonders der tiefrote Lippenstift und die sorgfältig nachgezeichneten Brauen.
    Sie trug ein dünnes Nachthemd in blassem Rosa, das den größten Teil ihres breiten Gesäßes entblößte. Außerdem passte die Farbe des Nachthemds so überhaupt nicht zu der Farbe des Lippenstifts. Ein spitzenbesetzter Morgenrock in dunklerem Rosa hing ihr über die Schulter, und der schwere, durchdringende Duft ihres Parfums schien den ganzen Raum zu erfüllen.
    »Oh, hallo!«, stammelte sie und warf sich hastig den

Weitere Kostenlose Bücher