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Der Ruf des Abendvogels Roman

Titel: Der Ruf des Abendvogels Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Haran
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richtige Freundinnen, so glaubte sie, müssten Gleichgestellte sein. »Deine Tante ist einer der nettesten Menschen hier, eine der wenigen, die mich nicht ...« Sie ließ den Satz unvollendet und sagte stattdessen: »Ich bewundere und schätze sie sehr.«
    »Ich habe meine Tante seit Jahren nicht gesehen«, meinte Tara, »aber sie war nie jemand, der andere verachtete. Sie hatte immer viele Freunde aus allen Schichten, und ich bin sicher, dass sie dich nie abgelehnt hätte, weil andere schlecht über dich denken!«
    »Ja, dazu ist sie viel zu nett«, stimmte Lottie ihr zu. »Und auch sehr großzügig. Aber ich wollte nicht, dass sie meinetwegen in Schwierigkeiten geriet – und genau das möchte ich dir auch ersparen, Tara. Bitte, versteh mich und respektiere meinen Wunsch!«
    Tara sah sie an und nickte leicht. »Das tue ich, Lottie.«
    Charlotte füllte noch einmal ihre Gläser wieder auf. »Kommst du mit hinüber in das andere Zimmer? Ich fühle mich wohler dort.«
    Überrascht erhob sich Tara und ging hinter ihr her in einen anderen, etwas größeren Raum, in dem Lottie offensichtlich den größten Teil ihrer Zeit verbrachte. Was in dem kleinen Wohnzimmer an Wandschmuck und persönlichen Kleinigkeiten fehlte, war hier mehr als reichlich vorhanden. Auf Regalen, Geschirrschränken und einem alten Kleiderschrank, der wie ein Familienerbstück aussah, standen Krüge, Keramiktöpfe und Zierrat jeder Art. Außerdem gab es ein durchgesessenes, aber bequem wirkendes altes Sofa, über das eine blau-rosafarbeneHäkeldecke gebreitet war. Daneben stand ein großes Funkgerät. Auf einem Tisch an der Wand sah Tara einen Strickkorb, und in einer Ecke stand eine alte Nähmaschine. Über dem Küchentisch hingen unzählige Pfannen, Töpfe und anderes Küchengerät, und mitten auf dem Tisch stand ein sehr hübsches, rosenbemaltes Teeservice mit Kanne.
    Das war genau die Art von Atmosphäre, die Tara beim Betreten des Hauses vorzufinden erwartet hatte. Der Raum sah aus wie die Küche von irgendjemandes Großmutter, einladend und urgemütlich. Tara stellte fest, dass sie lächelte, und spürte Lotties Blick auf sich.
    »Es tut mir Leid«, meinte sie, »aber ich habe die ganze Zeit über versucht, mir Ferris Dunmore in deinem eleganten Wohnzimmer vorzustellen, aber ich fand es fast unmöglich. Und sogar hier, inmitten deines zerbrechlichen Porzellans, fällt es mir sehr schwer.«
    Lottie nickte seufzend. »Er ist schrecklich ungeschickt. Jedes Mal, wenn er sich umdrehte, hat er irgendetwas zerbrochen, und leider meistens etwas, an dem ich hing. Zum Glück sehe ich ihn, seit er verheiratet ist ... na ja, nicht mehr allzu oft.«
    Tara musste lachen. »Heute Abend hat er mir die Narbe auf seinem Bein gezeigt – und dazu tatsächlich seinen schmutzigen Fuß auf den Tisch gestellt! Ich war ziemlich schockiert.«
    Lottie verzog das Gesicht. »Ich habe immer darauf bestanden, dass er sich in seinem eigenen Bad waschen sollte, bevor er zu mir kam, aber an der Hintertür habe ich ihn dann noch einmal die Füße waschen lassen, damit er mir den Teppich nicht schmutzig machte. Ich ertrage es nicht, wenn ein Mann nach Schweiß riecht. Normalerweise lasse ich die Männer mein Bad benutzen, aber diesen Fehler habe ich bei Ferris nur einmal gemacht. Du kannst dir nicht vorstellen, wie es hinterher aussah! Wenn man hundert Schafe darin gebadet hätte, wäre es sicher sauberer gewesen!«
    Tara lachte wieder. »Seinem Gestank nach zu urteilen, hat er sich nicht mehr gewaschen, seit er zum letzten Mal hier war,obwohl er zwei Bäder hat. Wenn seine Frau wiederkommt, wird sie ihn hoffentlich von der Nützlichkeit klaren Wassers und einer guten Seife überzeugen.«
    »Ich fürchte, Charity hat andere Prioritäten. Sie ist ein nettes Mädchen, aber um solche Dinge macht sie sich keine Gedanken.«
    Tara machte es sich auf dem Sofa bequem, und Lottie ließ sich neben ihr nieder. Sie wirkte in dieser Umgebung viel entspannter.
    Während die beiden Frauen noch ein Glas Wein tranken, nahm Lottie ihre Nagelfeile, griff nach Taras Hand und begann, deren Nägel zu feilen. Das geschah so natürlich, dass Tara keine Einwände erhob. Lotties eigene Nägel waren sorgfältig manikürt und rosa lackiert.
    »Wie bist du dazu gekommen, eine ...«
    »Prostituierte zu werden?«, beendete Lottie Taras Satz.
    »Ich habe kein Recht, dich danach zu fragen. Ich selbst bin ja auch nicht offen zu dir gewesen ...« Trotzdem musste sie zugeben, dass es sie sehr interessiert hätte.

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