Der Ruf des Abendvogels Roman
Befangen fuhr sie fort: »Ich wollte fragen, wie es dich nach Wombat Creek verschlagen hat. Wenn du mich fragst, ich finde, es ist ein schrecklicher Ort. Und ganz sicher gibt es doch hier nicht viele Leute, die dir ... Geld einbringen.«
Lottie lachte. »Du müsstest am Wochenende hier sein. Dann ist die Stadt voller Menschen von den umliegenden Farmen, und außerdem ziehen immer wieder Viehtreiber und Schafscherer durch. Während der Woche ist es dafür meist sehr ruhig, aber daran gewöhnt man sich.«
»Das hat Ethan auch gesagt, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, mich jemals daran zu gewöhnen. Wie bist du hierher gekommen?«
Wieder erlosch Charlottes Lächeln, und Tara bereute fast, überhaupt gefragt zu haben. »Ich bin in Katherine, nördlich von hier, von meinem Mann sitzen gelassen worden.«
»Das tut mir Leid – es muss sehr schwer für dich gewesen sein.«
»Das Leben mit ihm war schwierig. Allein zu sein hat da keinen großen Unterschied mehr gemacht. Mir geht es jetzt besser – ich genieße zwar vielleicht keinen Respekt hier, aber ich kann tun, was ich will und wann es mir gefällt. Ich habe genug Geld und ein Maß an Freiheit, wie ich es während meiner Ehe nicht kannte.«
Charlottes Geschichte verblüffte Tara, weil sie in mancher Hinsicht ihrer eigenen ähnelte. Es war nicht einfach für sie gewesen, nach den Gesetzen der Zigeuner zu leben, während ihr Mann im Gefängnis gewesen war, doch wie Charlotte hatte sie keine andere Wahl gehabt. Zwar hatte sie ihren Körper nicht verkauft, doch oft war es ihr vorgekommen, als habe sie ihre Seele verloren. Ihre alten Freunde wollten nichts mehr mit ihr zu tun haben, und ihre Brüder hegten einen heftigen Groll gegen sie, dem sie sich nicht auszusetzen gewagt hatte.
»Mein Mann war Goldschürfer«, erklärte Lottie. »Er hat hart gearbeitet und hatte große Träume. Ich dachte immer, dass diese Träume auch mich mit einschließen würden, bis er auf einmal ein reicher Mann war. Er hatte immer davon gesprochen, dass er die Welt sehen wollte – und mit den Taschen voller Geld wurde dieser Traum Wirklichkeit. Leider hat er sich ausgerechnet, dass das Geld länger reichen würde, wenn er mich zurückließ.«
»Was für ein egoistischer Mistkerl«, stieß Tara empört hervor.
Lottie zuckte mit den Schultern. »In Katherine geht es ziemlich rau zu. Die Stadt ist voll von verzweifelten Männern, Dieben, Mördern und denen, die einfach nur gierig sind. Ich beschloss, wegzugehen, und tat es ironischerweise, gerade weil ich nicht in einem der vielen Bordelle der Stadt enden wollte. Ich reiste Richtung Süden, weg von der Hitze und den Problemen. Aber ich hatte nicht viel Geld und kam nur bis hier. Das Hotel gab es zwar schon, aber ich konnte mir kein Zimmer leisten, also habe ich hier draußen im Busch mein Zelt aufgeschlagen.« Ein Blick auf Tara sagte Lottie, dass diese zu gern erfahren würde, wie sie dann doch Prostituierte geworden war. »Viehtreiber und Schafscherer, die durchkamen, boten mir Essen und manchmal auch Geld an. Siewaren einsam, und freundlich ... Ich weiß, dass es komisch klingt, aber ich fühlte mich besser, wenn ich ihnen auch etwas gab. Es ist mir immer schwer gefallen, Geschenke anzunehmen.«
Tara hörte die Resignation in ihrer Stimme. Charlotte war also Prostituierte geworden, weil sie zu viel Stolz besessen hatte – es schien alles so ungerecht!
Es schien alles so ungerecht! Tara blickte sich um. »Dein Haus ist sehr gemütlich – und du hast es sehr schön eingerichtet!«
Charlottes Augen leuchteten vor Stolz. Sie war mit Taras einer Hand fertig, und diese streckte ihr die andere hin. »Vielen Dank. Ich bin nicht gerade ungeschickt, und wenn man ohne Mann lebt, entdeckt man plötzlich an sich selbst viele verborgene Talente.«
Tara musste an ihre Tante denken und an die Anstrengungen, die es erfordern musste, eine solch große Farm allein zu bewirtschaften. Dann dachte sie an sich selbst und ihre ehrgeizigen Pläne, ohne Ehemann zwei Kinder großzuziehen. Um das zu schaffen, würde sie sehr viele verborgene Talente zutage fördern müssen! Zum Glück hatte sie Übung darin, allein zurechtzukommen, weil Garvie so oft im Gefängnis gewesen war.
»Manchmal bitte ich einen der Männer hier aus der Stadt um Hilfe«, fuhr Charlotte fort, und ihre Worte brachten Tara wieder in die Wirklichkeit zurück.
»Von einem Zelt zu einem so hübschen Haus, das ist schon eine Leistung für eine allein stehende Frau«,
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