Der Ruf des Bösen: Die Erleuchtete 2 - Roman (German Edition)
einfach Kugelschreiber. Zu Füßen der Ruhestätte lag ein Sammelsurium von Gegenständen, aus denen ich nicht recht schlau wurde: Blumen (einige davon vertrocknet), Steine, Flaschen, Ziegel (teils in Folie eingeschlagen), halbverfaultes Obst (von dem in einigen Fällen nur noch der Kern übrig war), Tupperdosen, die die Überreste von Restaurantmahlzeiten zu enthalten schienen, Bücher, Stifte, Minzbonbons, Landkarten, handgeschriebene Nachrichten, Kerzen, Fotos, Knochen, Plastikbeutel mit Kräutern. »Diese Gruft dürft ihr niemals überstreichen«, erklärte Schwester Catherine streng. »Seid ihr mit Miss Laveaus Geschichte vertraut?«
Darauf erwiderte niemand etwas. Ich wollte nicht die Streberin sein, die bei jeder Frage des Lehrers aufzeigte, Schwester Catherine sollte uns aber auch nicht für desinteressiert halten. Sowohl Sabine als auch Drew schauten nervös drein.
»Na ja, ich weiß, dass sie als Voodoopriesterin tätig war und während des Gelbfiebers auch als Krankenschwester, glaube ich«, erklärte ich also.
»Genau, Liebes, wunderbar«, bestätigte die Nonne, sah mich an und nickte.
»Und was hat es mit denen auf sich?« Sabine deutete auf die X-Anhäufungen. Drew beugte sich vor, um ein paar davon unter die Lupe zu nehmen, und fuhr mit dem Finger über die Farbe.
»Eine gute Frage«, sagte Schwester Catherine zu Sabine, die jetzt ganz stolz aussah. »Wie ihr euch vorstellen könnt, ranken sich um sie so einige Legenden. Viele Menschen glauben, dass ihre Wünsche erfüllt werden, wenn sie diese Markierungen hinterlassen. Ihr werdet auch sehen, dass manche Besucher dreimal an die Gruft klopfen.« Das tat sie nun selbst. »Es gibt viele Geschichten wie diese, so viel Aberglauben, und die Leute kommen eben auf der Suche nach Hilfe hierher. Wir haben doch alle unsere eigenen Überzeugungen, wo wir Hilfe finden, wenn wir sie brauchen, oder nicht?« Sie schüttelte den Kopf und deutete damit an, dass sie froh wäre, wenn diese Hilfesuchenden stattdessen über die Straße gehen und in der Kirche vorbeischauen würden. Aber ich konnte es wirklich verstehen: Ich hatte schon so einiges gesehen und begriff, dass die Menschen eben nach Hoffnung suchten, wo sie konnten.
»Auf jeden Fall«, fuhr sie jetzt fort, »hinterlassen viele diese Dinge als Gaben, um Miss Laveaus Geist milde zu stimmen. Wie ihr selbst seht, stehen hier allerdings auch oft verderbliche Güter, die bei unserem warmen Wetter keine Chance haben. Ich wäre euch wirklich sehr dankbar, wenn ihr jeden Tag kurz hier vorbeischauen und alles Verfaulte einsammeln könntet.« Damit warf sie einen letzten Blick auf die Gruft und setzte sich dann mit ihren gemächlichen Schritten wieder in Bewegung.
Wir folgten ihr zu einem winzigen grauen Schuppen, der kaum größer war als einige der prachtvolleren Gruften. Die Nonne schob den Schlüssel in die Tür, und wir betraten einen einzigen kargen Raum. Darin befanden sich ein Tisch und ein Stuhl aus Holz, eine Lampe, ein Spind aus Metall und ein Telefon. Mehr hätte auch nicht hineingepasst. Es fühlte sich nicht so an, als gäbe es hier eine Klimaanlage, es war jedoch schon eine Erleichterung, einfach nur aus der Sonne herauszukommen. Schwester Catherine zog sorgfältig gefaltete Kleidung und mehrere Blätter Papier mit gelb markiertem Text aus dem Schrank.
»Bitte sehr. Mehr solltet ihr vermutlich nicht brauchen. Hier«, sie ging die Papiere durch und zog eins heraus, »habt ihr ein paar grundlegende Tipps fürs Malen. Und das Material ist hier drin.«
»Danke, Schwester«, erwiderten wir im Chor.
Mit gesenkten Lidern nickte sie langsam, so wie Nonnen das in Filmen immer taten, wie zum Beispiel in Meine Lieder – meine Träume , einem Streifen, den Joan und ich uns um Weihnachten herum immer ansahen. Sie ging auf die Tür zu und drehte sich dann noch einmal um. »Und vermeidet es bitte, euch nach Sonnenuntergang auf dem Friedhof aufzuhalten. Aus … Sicherheitsgründen«, sagte sie, und einen Moment nahm ihre Stimme einen bedeutsamen, kühlen Tonfall an.
»Was meinen Sie …«, begann Sabine. Bevor sie ihren Satz zu Ende führen konnte, verschwand Schwester Catherine jedoch schon, und der Zipfel ihres langen schwarzen Gewandes glitt ihr wie ein Schwanz hinterher, als sie die Tür hinter sich schloss.
»Nonnen find ich supergruslig«, murmelte Sabine, als sie weg war, und schüttelte sich.
»Ach, komm schon, sie war doch … nett«, protestierte ich. Drew lachte nur über uns. Wir schlüpften in
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