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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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den Guten, verstehen Sie? Ich kannte sie. Eine sympathische Frau. Seit Februar gibt es keinerlei Nachrichten mehr von ihr. Aber wenn Sie ...« Er blickte mich hoffnungsvoll an. Geradezu sehnsüchtig. »Wenn Sie irgendetwas wissen, dann ...«
    »Ich weiß nichts! Echt nicht! Woher auch?«
    Wie ich mich vom Professor verabschiedete und aus dem Büro hinauskam, erinnere ich mich nicht. Völlig unbeachtet ließ ich im Anthropologischen Institut auch die Erkenntnis zurück, dass Professor Graham Torres y Torres für Susanne Schuster womöglich mehr empfand als das übliche von Grauen geprägte Mitleid für ein Entführungsopfer, das man persönlich gekannt hat. Aber hätte ich in den folgenden Tagen über die Gefühle des Professors nachgedacht, wäre dann wirklich alles anders gekommen?
    Irgendwie gelangte ich nach Hause, irgendwie gelang es mir, mit meinen Eltern eine halbwegs normale Abendbrotunterhaltung zu führen, wobei ich vergaß, dass ich eigentlich nicht mehr mit ihnen redete. Und irgendwie kam ich ins Bett, stand anderntags wieder auf und ging in die Schule. Irgendwie vergingen diese Tage, ohne dass sie sich nennenswert in meinem Gedächtnis verankerten.
    Ich schämte mich bis ins Mark, dass ich nicht viel eher begriffen hatte, dass Damián wirklich nichts von mir wollte. Für ihn war ich immer nur ein kleines blauäugiges Mädchen gewesen, das ihn anhimmelte und ihm nachlief wie ein Teenie einem angesagten Popstar, das ihm inzwischen lästig wurde. Er war vier Jahre älter als ich. Was konnte so einer auch schon mit einer sechzehnjährigen Schülerin aus Deutschland anfangen, die in ein paar Monaten wieder weg sein würde. Er hatte sich mit mir nur ein bisschen die Zeit vertrieben. Er hatte mir die Bären gezeigt, weil man junge Mädchen mit so was beeindrucken konnte. Hätte er noch ein bisschen mehr Zeit gehabt, hätte er mich womöglich sogar flachgelegt, einfach weil ich so verknallt war und ihn dazu einlud. Und ich war so bescheuert gewesen, zu glauben, er sei der Mann meines Lebens. Ich hatte mich mit dem Gedanken vertraut gemacht, mein Leben in Kolumbien zu verbringen, hatte mich mit meinen Eltern überworfen. Und ich hätte mit ihm geschlafen. Ich wäre so kopflos gewesen, so blöd, so blind!
     
    Von mir unbemerkt wurde es Samstag, und ich saß mit Felicity Melroy und dreißig anderen Touristen in einem komfortablen Bus, der uns nach Tierradentro bringen würde, durch saftige Ebenen, hinauf ins gewaltige Bergmassiv, vorbei an prächtigen Wasserfällen.
    Felicity merkte schnell, dass ich innerlich zu einer Pflanze geworden war und automatisch Tonbänder mit Kommunikation abspulte, und fragte so lange, bis es aus mir heraussprudelte.
    »Wie habe ich mich nur so täuschen lassen können!«, klagte ich. »Warum merkt man es nicht eher, warum schlägt man alle Warnungen in den Wind? Ist das immer so? Dann will ich mich nie wieder verlieben. Nie wieder!«
    Sie lachte nicht. Wir unterhielten uns sehr lange, während der Bus in den Abend rollte. »Mit dem Verlieben ist das so eine Sache«, erklärte sie mir. »Sie läuft auf zwei Ebenen ab. Du siehst einen Jungen. Irgendwas an ihm lässt dir keine Ruhe. Dann sprichst du mit ihm und entweder er wird plötzlich uninteressant oder es funkt. Und weißt du, warum das so ist? Nicht, weil er ein blöder Schwätzer ist oder weil er interessante Sachen sagt. Es liegt daran, dass man sich nahe kommt, und dabei kommt die Nase ins Spiel. Ich fand den Gedanken immer eklig, aber es ist so. Es gibt in unserem Gehirn eine Instanz im Riechzentrum, die dir sagt: Der passt zu mir. Und zwar rein genetisch. Der ist gut, um jede Menge gesunde Kinder mit ihm zu haben. Das ist natürlich nicht das, woran wir zuerst denken, wenn wir uns verlieben. Wir denken, mit dem möchte ich leben. Wir mühen uns ab, Gemeinsamkeiten zu finden. Wenn wir Glück haben, dann haben wir ähnliche Interessen, dann können wir miteinander reden und stellen uns unser gemeinsames Leben einigermaßen ähnlich vor. Nach einiger Zeit lässt die Verliebtheit nach. Dann müssen wir anfangen einander zu lieben. Liebe ist nämlich was anderes als Verliebtsein. Sie ist dazu da, dass wir beieinander bleiben, auch wenn wir uns manchmal streiten und über den anderen ärgern. Du hast dich in Damián verliebt. Aber ob du ihn liebst, kannst du jetzt noch gar nicht wissen. Deine andere Ebene, deine biologische, die mit der Nase zu tun hat, die gaukelt dir vor, dass du ihn liebst. Dabei willst du ihn nur haben. Ich

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