Der Ruf des Kolibris
enden würde.
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– 39 –
I ch stieg in den TransMilenio um und ließ mich zur Universidad Nacional bringen. Ich musste mit Damián reden, heute noch! Ich musste sicherstellen, dass er erfuhr, dass seine Mama Lula Juanita heute Abend mit uns eine Reinigungszeremonie durchführen würde.
Eigentlich hätte ich, kaum dass ich aus dem Bus gestiegen war, auf das ziegelrote Gebäude der Wirtschaftswissenschaftler stoßen müssen. Aber die Ciudad Universitaria, die sogenannte Universitätsstadt, war riesig. Auf der Fassade des Hauptgebäudes am Plaza de Santander prangte das Gesicht von Che Guevara, so wie ich es von T-Shirts und Plakaten kannte. Während ich über den Campus lief, wählte ich auf meinem Handy die Nummer meiner Mutter im Labor. Eine Kollegin erklärte mir, sie sei nicht da. Sie sei den ganzen Tag nicht da gewesen. Sie habe sich doch krank gemeldet.
Peinlich! Ich erklärte, ich sei vorher in die Schule gegangen und hätte es nicht mitbekommen, und bat um Entschuldigung. Wieso war meine Mutter heute Mittag, als ich vorzeitig aus der Schule kam, nicht zu Hause gewesen?, fragte ich mich. Wo war sie eigentlich? Estrellecita nahm das Telefon ab. Ich fragte sie, ob meine Mutter jetzt da sei. Sie war es nicht. Und viel wichtiger als die Frage, wo meine Mutter steckte, war es Estrellecita, zu erklären, dass das Telefonat, bei dem ich sie vorhin überrascht hatte, nur ganz kurz gewesen sei. Ihr Großvater habe einen Schwächeanfall erlitten, sie habe in der Apotheke angerufen. »Das ist schon in Ordnung, Estrellecita«, sagte ich. Es war mir so was von egal!
Meine Mutter hatte kein Handy. Sie mochte die Dinger nicht. Sie fand, dass sie ihre Neigung zu Kopfschmerzen verstärkten. Ich überlegte kurz, ob ich meinen Vater anrufen sollte. Aber dann hätte ich alle verrückt gemacht. Vielleicht war es meiner Mutter nicht recht. Zum ersten Mal fragte ich mich, was sie eigentlich den ganzen Tag machte, wenn sie nicht arbeiten ging. Leichte Unruhe beschlich mich.
Aber darum konnte ich mich jetzt nicht kümmern. Ich betrat das markante rote Gebäude der Wirtschaftswissenschaftler und mein Herz klopfte aus ganz anderen Gründen. Würde Damián dort sein? Würde er sich freuen, mich zu sehen? Als ich ihn damals in der Bibliothek des Colegio Bogotano am Computer überraschte, hatte er sich nicht gefreut. Das Bild stand mir noch vor Augen. Seine überraschte, fast erschrockene Miene, die steile Falte zwischen seinen Brauen. Rasch und leise war er hinausgehuscht. Und als ich ihn kürzlich bei den Anthropologen gesehen hatte, war er ebenfalls sofort verschwunden.
Was hatte er eigentlich dort gesucht? Ein Wirtschaftswissenschaftler kam doch nicht zufällig bei den Anthropologen vorbei? Es kam mir auf einmal merkwürdig vor. Doch vielleicht lag es an den Spuren der Unruhe, die die Suche nach meiner Mutter hinterlassen hatte.
Wieder verstand ich, warum man Bogotá auch die Hauptstadt der Bücher nannte, so liebevoll und hell, wie die Bibliothek sich präsentierte. Es war still und roch nach Büchern. Und es gab ungefähr zwanzig Computerplätze, die alle besetzt waren.
Er kehrte mir den Rücken zu. Er saß an einem Computer und unterhielt sich mit einem Mädchen mit schwarzen Haaren und großen goldenen Kreolen in den Ohrläppchen. Ich ging direkt auf sie zu. Das Mädchen sah mich zuerst und hob den Blick. Daraufhin drehte sich auch Damián um.
Überraschung flackerte über sein ernstes Gesicht, dann lächelte er.
Er lächelte! Ich war erleichtert. So wenig kannten wir uns, dass ich nicht wusste, wie er reagieren würde, wenn ich ihn in seinem Bekanntenkreis überraschte. Er schien mich besser zu kennen. Immerhin hatte er mich nachts in meinem Hotelzimmer besucht. Er musste sich schon sehr sicher gewesen sein, dass ich nicht in hysterisches Geschrei ausbrechen würde und er mir willkommen war.
Er stellte mich dem Mädchen vor, einer Studienkameradin, deren Namen ich sofort wieder vergaß. Wir machten ein bisschen Small Talk, sie fragte, wie es mir in Kolumbien gefalle. Ich sagte, der Campus sei sehr schön. Sie lächelte zwischen Damián und mir hin und her und verabschiedete sich bald.
»Damián, ich muss mit dir reden«, platzte es aus mir heraus. »Die Polizei war bei uns, ich muss demnächst eine Aussage machen. Ich komme gerade von Juanita, und sie sagt ...«
»Langsam!«, sagte er. Er lächelte immer noch. Sein Blick war weich und zugleich mächtig und eindringlich. Ich spürte seine Hand an meinem
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