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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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war, als er behauptete. Und wenn das so war, musste Susanne Schusters Entführung nicht zwischen uns stehen. Vor allem dann nicht, wenn es uns gelang, sie zu beenden.
    »So eine Reinigungszeremonie ...«, fragte ich vorsichtig. »Was bewirkt die?«
    »Sie reinigt den Geist von allem, was bei einer Entscheidung hinderlich ist, zum Beispiel Angst, Zorn oder Hass.«
    »Und was ... was müsste ich da tun?«
    »Du musst nichts tun. Du musst nur etwas zulassen.«
    »Muss ich Drogen nehmen?«
    Sie lachte. »Nein. Es ist keine schwarze Magie, nur graue.«
    »Und ... wann? Ich meine ... ich muss noch zur Polizei. Aber vermutlich kann ich das auch morgen machen.«
    »Also heute Abend.«
    »Und Damián? Du hast doch gesagt, er solle dabei sein?«
    »Ich werde ihn fragen.«
    »Und wie?« Ich stellte mir eine telepathische Anfrage vor.
    »Clara wird ihm eine E-Mail schicken, heute Abend, wenn sie nach Hause kommt. Sie sagt, er sei jeden Tag am Computer in der Bibliothek in der Universität. «
    »Also gut, ich ... werde kommen.«
    Ich würde Damián wiedersehen! Das war die Hauptsache. Und schaden konnte es vermutlich nicht, sagte ich mir.
    Dennoch machte ich mich besorgt auf den Heimweg. Wie sollte ich das meinen Eltern verklickern? Sie würden mich sicher nicht zu einer indianischen Zeremonie fortlassen. Schon gar nicht nach Einbruch der Dunkelheit. Und Elena fiel als Alibi aus, nachdem ich sie so beleidigt hatte.
    Und wenn Damián heute Abend außerdem gar nicht kam, weil er Claras E-Mail erst morgen las? Wenn ich ganz umsonst bei meinen Eltern den Aufstand probte?
    Wieder fühlte ich mich furchtbar allein. Und ich vermisste Damián. Es war kaum zum Aushalten. Ich sehnte mich nach seinen warmen Fingern, die sich zwischen meine flochten, meine Haut gierte nach seiner Berührung. In jeder freien Minute hatte ich gestern und heute jede Sekunde unseres nächtlichen Gesprächs im El Refugio in meine Erinnerung gerufen. Immer wieder hatte ich seine männliche Begierde gespürt, die Sehnsucht seines Körpers, mich zu besitzen, die mich im ersten Moment erschreckt hatte und jetzt mit wohliger Erregung erfüllte. So fühlte es sich an, wenn ein Mann eine Frau begehrte. Es war überwältigend. Warum nur war ich zurückgezuckt, statt ihm deutlich zu machen, dass ich es auch wollte? Wieso hatten wir es nicht getan in dieser Nacht? In der ersten und vielleicht einzigen Nacht, die uns gehört hatte.
    Mir klopfte nachträglich das Herz, heftig und schmerzhaft. Alles in mir wusste, Damián war der Mann, dem ich mein Leben anvertrauen wollte und konnte, nur mein Kopf schien es noch nicht so genau zu wissen. In meinem Kopf saßen meine Eltern und ihre Bedenken. Ich war zu ängstlich gewesen! Er hatte es gespürt und nur meine Hand gehalten und seine Geschichte erzählt. Eine Geschichte, mit der er die Bedenken meiner Eltern unterstützt hatte. Ich bin nichts für dich. Mein Leben ist zu hart. Es ist vom Tod begleitet. Du kannst nicht gutheißen, was ich tun muss. Die kulturellen Unterschiede sind zu groß. Es geht nicht.
    »›Geht nicht‹ gibt’s nicht«, pflegte meine Tante Valentina zu sagen.
    »Deine Sprüche immer!«, seufzte meine Mutter dann gern.
    Valentina war das Gegenteil von ihrer Schwester, meiner Mutter. Sie war groß und dick und lachte gern. Sie leitete ein Unternehmen, dessen genaue Tätigkeit mir nie klar geworden war. Sie und ihre Leute berieten Firmen bei Auslandsinvestitionen.
    Seit ich denken konnte, schwiegen meine Eltern, wenn sie gerade über Valentina gesprochen hatten und ich ins Zimmer trat. Die männlichen Namen, die in Zusammenhang mit ihr genannt wurden, waren immer wieder andere. Ich erinnerte mich, dass ich sie als Kind einmal gefragt hatte, warum sie keinen Mann habe. »Weil mir einer zu wenig ist«, hatte sie darauf geantwortet. Das hatte ich damals nicht verstanden. Als ich älter war, erklärte mir Mama, dass meine Tante beziehungsunfähig sei. Sie liebe niemanden außer sich selbst.
    Wie kann man sich selbst lieben?, hatte ich mich gefragt. Im Grunde fragte ich es mich bis heute. Und jetzt noch mehr. Denn die Liebe war ein Gefühl, das man für einen anderen empfand. So wie ich für Damián. Mit mir konnte ich immer leben, von mir musste ich mich nicht trennen. Die Liebe aber war etwas anderes. Die Liebe war der Schmerz, zu wissen, dass mein Herz brach, wenn ich nicht mit Damián zusammen sein konnte.
    Nicht mit ihm leben können war wie eine rasende Fahrt in einen finsteren Tunnel, der nicht mehr

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