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Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Ellbogen. Wärme floss mir durch die Glieder. Die Hektik der letzten Stunden fiel von mir ab und Ruhe breitete sich in mir aus. Alles würde gut. Wenn wir nur zusammen waren! Es gab keine andere Lösung. Das wusste ich jetzt. Wir mussten da gemeinsam durch.
    Wir stiegen die Treppen hinunter. Ich ging wie im Nebel. Mir war, als sei es nun entschieden. Als würde ich ein Leben lang so neben ihm gehen dürfen, egal wohin. Seine Wärme überbrückte den kleinen Abstand zwischen uns, seine Hand berührte gelegentlich meine. Ich spürte seine Schritte in den Bewegungen seines Körpers neben mir. Es war, als sei er ich und ich sei er. Ich spürte seine tiefe Freude darüber, dass ich gekommen war. Dass ich mich nicht von dem hatte abschrecken lassen, was er mir vor zwei Nächten erzählt hatte. Es war richtig, was ich tat.
    Wir redeten, während wir aus dem Gebäude traten und uns zum Park wandten, über banale Dinge.
    »Hast du keine Schule?«, fragte er.
    »Und du, musst du nicht in ein Seminar?«
    Er lachte. »Sieht so aus, als würden wir beide heute den Unterricht schwänzen.«
    »Wo gehen wir hin?«
    Er deutete auf einen Pfad, der zwischen zwei Gebäuden in den grünen Park führte. »Wie viel Zeit hast du?«
    Ich guckte auf die Uhr. »Eine Stunde. Um sechs muss ich daheim sein.« Ich dachte an meine Mutter und ihre seltsame Abwesenheit, vergaß den Gedanken aber sofort wieder. Mein Handy war angestellt. Also, wenn was war ...
    Fast alle Wände der Gebäude waren von Graffiti bedeckt. »Das Herz schlägt links«, las ich auf einem grün-roten Bild. »Seien wir Realisten, tun wir das Unmögliche.«
    Einige Leute spielten Frisbee in den Anlagen. Jogger trabten die Wege entlang. Radler rasten in alle Himmelsrichtungen, die Kuh der Universität lag auf der Wiese und käute wieder. Es war bekannt, dass in dem Park auch Pferde und Hunde lebten. Es war ein kleiner, aber dichter grüner Urwald, in den wir hineinkamen. Damián ergriff meine Hand und flocht seine Finger durch meine.
    »Wo wohnst du eigentlich?«, fragte ich.
    »In einer Studentenherberge. Ich wohne mit einem Spanier und einem Franzosen zusammen.«
    »In einem Zimmer?«
    Er nickte. In dieser riesigen Stadt gab es, so schien mir, keinen Flecken, wo wir alleine sein konnten. Es gab nur eine abseits gelegene Bank zwischen zwei alten Bäumen.
    Wir setzten uns. Damián wandte sich mir zu und musterte mich mit seinen schwarzen Augen. »Und nun erzähl, Jasmin. Was ist los? Worüber willst du mit mir sprechen?«
    »Die Polizei ist dabei ...«, sprudelte es aus mir heraus. Aber auf einmal schien mir das eine von den aufgeregten Unwichtigkeiten zu sein, mit denen wir unser Leben verplemperten. Ich lächelte und schaute Damián in die Augen. »Ich wollte einfach mit dir zusammen sein, Damián. Ich wollte dir sagen, dass ich ...« Ja, was genau wollte ich ihm sagen?
    Er lächelte aufmerksam.
    »Ich wollte sagen«, fuhr ich stockend fort, »dass ich zu dir stehe.«
    Damiáns Finger hielten inne.
    »Deine Großmutter Juanita schlägt vor, dass wir ...« Ich lachte unwillkürlich verlegen, »dass wir so einen ... na ja, sie nennt das Reinigungszauber machen. Heute Abend.«
    Erstaunen malte sich auf Damiáns Gesicht.
    »Sie sagt«, fuhr ich fort, denn ich hatte auf einmal Angst, Damián werde Nein sagen, »es würde uns Klarheit verschaffen. Und es kann ja nicht schaden, oder?«
    Damián lächelte. »Wenn du da so rangehst, kann es auch nicht helfen, Jasmin. Ein Zauber schadet niemandem, wenn er nicht daran glaubt, aber er hilft dann auch nicht.«
    »Glaubst du denn daran?«
    »Ich bin mit Juanita in einem Haus aufgewachsen. Ich kenne ihre Fähigkeiten. Ich weiß, dass sie die Macht hat. Ja, Jasmin ...« Er nickte. »Ich glaube daran.«
    »Warum hast du dann nie erlaubt, dass Juanita bei dir einen Reinigungszauber macht?«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Ich komme gerade von ihr. Sie hat mir erzählt, dass sie es dir angeboten hat, dass du es aber nicht wolltest. Das war, als du entdeckt hast, dass du lieber Frieden stiften willst, als den bewaffneten Kampf deines Onkels fortzuführen.«
    Zwischen seinen Brauen erschien die steile Falte. »Ach so. Nun, Juanita hat einen ganz eigenen Blick auf die Dinge.«
    »Stimmt es nicht?«
    »Doch, Jasmin. Alles, was wir übereinander sagen, stimmt irgendwie. Was hat sie dir denn noch erzählt?«
    »Dass ihr damals eigentlich alle innerlich zerrissen wart, zumindest Clara und du. Und dass du bis heute nicht weißt, ob du deinem Onkel

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