Der Ruf des Kolibris
suchte.
Felicity lächelte. »Du musst los, ich verstehe! Hat mich gefreut, dass wir uns kennengelernt haben.«
»Mich auch«, sagte ich.
»Wir sehen uns sicher bei nächster Gelegenheit wieder! Und jetzt spring schon, Kindchen.«
Als ich am Eingang des Tanzsaals anlangte, waren Elena und John nirgendwo zu sehen. Die Band hatte inzwischen auf Diskomusik umgestellt. Die älteren Herrschaften strömten zur Bar, in die Klub- und Teeräume und in die Lounges. Alle waren von hier nach dort unterwegs. Ich erinnerte mich, dass ich ja eine Verabredung mit der Kellnerin hatte, die mir den Fleck auf dem Kleid beschert hatte, und begab mich zum Speisesaal. Die großen runden Tische waren nahezu verlassen. Die Kronleuchter strahlten auf die weißen Tischdecken herab. Das Servicepersonal war damit beschäftigt, abzuräumen und für das Supper – den Tee mit Snacks – neu aufzudecken. Nur wenige Leute waren an den Tischen sitzen geblieben, darunter mein Vater. Er befand sich in einem intensiven Gespräch mit Elenas Vater Leandro Perea. Ich steuerte die Küchentüren an und fragte eine der Kellnerinnen nach dem Chef. Sie versprach, nachzuschauen, wo er sich befand, und kam nach einigen Minuten mit der Mitteilung wieder, er sei gerade nicht da. Sie sah müde aus.
Ich schilderte der Kellnerin mein Gespräch mit dem Chef und dass er gesagt habe, ich solle in einer Stunde wiederkommen.
Ein Lächeln erhellte plötzlich das Gesicht der Kellnerin. »Ach, Sie sind das«, sagte sie. »Jemand hat vorhin erzählt, dass Sie sich für Manuela eingesetzt hätten. Aber leider hat man sie sofort weggeschickt, nachdem das passiert war.«
»Kennen Sie sie?«, erkundigte ich mich. »Haben Sie ihre Adresse?«
Die Kellnerin schüttelte bedauernd den Kopf, versprach aber, herumzufragen, ob jemand sie kenne. »Was wollen Sie denn von ihr?«
»Ich wollte ihr nur sagen, dass ich ...« Ich unterbrach mich. Was redete ich da eigentlich? Es würde dieser Manuela wenig helfen, wenn ich ihr erklärte, dass ich nicht verantwortlich war für ihre Entlassung. Das klang bestenfalls so, als wollte ich mein schlechtes Gewissen beruhigen. Und wie ich mich fühlte, konnte Manuela völlig egal sein. Sie hatte vermutlich viel existenziellere Sorgen. Am Ende erwartete sie von mir noch, dass ich ihr einen neuen Job besorgte. Und das konnte ich nicht. Oder dass ich ihr Geld gab. Wer weiß.
»Ach nichts«, sagte ich. »Nichts. Ich dachte nur ... Ich wollte nicht, dass sie entlassen wird.«
»Ich weiß«, antwortete die Kellnerin und drückte mir kurz und herzlich den Arm. »Sie sind ein guter Mensch. Aber machen Sie sich nicht so viele Gedanken. Das Leben ist ein Auf und Ab.«
Damit war sie hinter der Schwingtür zur Küche verschwunden.
Das Ganze war ein Schuss in den Ofen gewesen, dachte ich. Typisch Jasmin. Viel Wind, wenig Ergebnisse, gut gemeint, aber sinnlos, und all das. Was hätte Mrs Melroy wohl dazu gesagt? Wahrscheinlich hätte sie gespöttelt: »Jasmin will alleine die Welt verbessern!« Es war wirklich schwierig, das Richtige zu tun. Ich seufzte tief. Jetzt musste ich Elena finden.
Ich drehte mich um und stand unmittelbar vor einer Gestalt im Smoking mit pechschwarzen Haaren und schmalen Kohleaugen.
»Damián!«
Seine Brauen zuckten leicht. »Du kennst meinen Namen?«
»Damián Dagua«, antwortete ich. »Ex-Schüler des Colegio Bogotano und heute Hausmeistergehilfe und ... und Gärtner in der Siedlung El Rubí .«
Er deutete ein Lächeln an. »Du hast dir viel Mühe gegeben, das herauszufinden.«
»Nein, gar nicht.«
Mir fiel auf, dass er mich jetzt duzte, was dem normalen Umgangston hierzulande viel mehr entsprach. Auch wenn er im Halbschatten der Sichtblenden zwischen Speisesaal und Küchentür stand und ich sein Gesicht nicht so deutlich sehen konnte, wirkte er auf mich entspannter als die anderen Male, wo wir uns begegnet waren. Ein leichtes Lächeln lag auf seinen Lippen.
»Und seit drei Stunden«, sagte er, »fragst du dich, was ich auf dem Diplomatenball verloren habe? Ein Hausmeistergehilfe, Gärtner und ... Dieb.«
Ich konnte nicht anders, ich nickte. »Aber im Grunde«, stotterte ich, »geht es mich ja nichts an.«
»Wir Indígenas stehen immer unter Generalverdacht.«
»Nein! Das stimmt nicht. Jedenfalls nicht, was mich betrifft.«
Ich sagte es mit Nachdruck und großer Leidenschaft. Und in diesem Augenblick zerstoben und verflogen alle meine Überlegungen der letzten Woche und all meine selbstquälerischen Fragen der
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