Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ruf des Kolibris

Der Ruf des Kolibris

Titel: Der Ruf des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
habt ihr, durch die Anden zu fahren?«
    »Müssen wir denn keine Angst haben?«, fragte ich.
    » Por supuesto que no «, antwortete Major Antonio de Paicol. »Natürlich nicht. Wir lieben die Gerechtigkeit. Wir sind keine Unmenschen. Wir werden doch Damiáns Schwester nicht sterben lassen. Venga, va! Kommt mit! Das hier wird noch Stunden dauern. So schafft ihr es nie bis morgen um zehn Uhr. Los! Wir bringen euch.«
    Wenn man von etwa dreißig bewaffneten Revolutionsarmisten umringt war, immer in Gefahr, erschossen oder den Abhang hinabgeschubst zu werden, klang eine solche Einladung wie ein Befehl. Wir hatten keine Wahl. Nicht einmal Leandro Perea protestierte. Er hielt den Mund. Hier, auf dieser Straße hatte er keine Macht. Lammfromm nahm er meinem Vater einen der beiden Medizinkoffer ab und schritt folgsam hinter ihm an den Insassen der anderen Autos und dem Sattelschlepper vorbei, dessen Räder tiefe Löcher in den Fahrweg geschliffen hatten.
    Elena stolperte und flüsterte auf Deutsch: »Bist du verrückt? Warum hast du das erzählt? Vielleicht hätten sie uns wieder laufen lassen.«
    »Vielleicht auch nicht«, sagte ich. »Mein Vater und ich haben deutsche Pässe. Vielleicht hätten sie uns entführt, um Lösegeld zu erpressen. Deutsche werden doch immer gern entführt, oder nicht?«
    Als wir am Führerhaus des Sattelschleppers vorbeikamen, sah ich, dass einer der Guerilleros neben dem Fahrer saß. Ein paar der Bande hatten Bretter unter die Reifen gelegt. Wenn wir vorbei waren, würden sie einen neuen Versuch unternehmen, den Laster freizufahren. Dann würden sie ihn irgendwohin in die Berge bringen, ihn ausladen und die Lebensmittel und Waren in der Gegend verkaufen. Vermutlich waren wir einer kriminellen Bande in die Hände gefallen. Aber Kriminalität konnte hier ganz schnell in Politik umschlagen, hatte uns John Green gewarnt.
    Vor der Schnauze des Sattelschleppers standen drei klapprige Militärlastwagen mit Planen. Der Major führte uns zu dem vordersten und lud uns ein, hinten auf die Ladefläche zu klettern. Fünf Bewaffnete folgten uns, der Major, ein Fahrer und ein weiterer Bewaffneter stiegen ins Führerhaus. Dann ging es los.
    Der Jeep war schon unbequem gewesen, aber man hatte wenigstens auf gepolsterten Sitzen gesessen. Auf der Ladefläche des Lasters gab es nur Bretter zum Sitzen und die Stangen der Plane, um sich festzuhalten. Jedes Schlagloch warf uns gegeneinander. Die jungen Kerle hatten sich auf den Boden gesetzt und sich mit den gestiefelten Füßen und ihren Schultern routiniert in den Ecken verkeilt. So hatten sie die Hände frei, um Zigaretten zu drehen.
    »Bringen sie uns wirklich nach Popayán?«, fragte mein Vater leise auf Deutsch.
    »Es sieht so aus«, antwortete Leandro leise und ebenfalls auf Deutsch, das er immerhin gebrochen sprach. »Wenn wir Glück haben, lassen sie uns dort laufen.«
    »Und wenn nicht?«, fragte Elena.
    Leandro zuckte mit den Schultern. »Auf jeden Fall sollte morgen um zehn dieser verdammte Damián am Uhrenturm auftauchen.«
    »Und wir sollten eine kranke Schwester herbeizaubern«, ergänzte Elena. »Wie bist du nur auf diese schwachsinnige Idee gekommen, Jasmin?«
    »Jasmin hat uns vermutlich gerettet«, sagte Leandro knapp.
    »Und Damián hat wirklich eine kranke Schwester«, antwortete ich. »Sie lebt in den Bergen.«
    »Was hat sie denn?«, fragte mein Vater.
    »Keine Ahnung.« Ich zuckte mit den Schultern. Eigentlich durfte ich ja nicht viel über ihn wissen, nachdem ich meinen Eltern erklärt hatte, ich hätte keinen Kontakt mehr mit ihm gehabt. »Ich habe nicht mit ihm darüber gesprochen«, sagte ich. Und es stimmte sogar. »Ich habe ihn nicht mehr gesehen seit dem Ball. Ich habe nur gehört, wie es jemand sagte. Deshalb sei er plötzlich zurück nach Popayán gegangen.«
    Mein Vater fragte nicht weiter, wo und von wem ich was über Damián gehört hatte. Es war ja auch unwichtig in der Lage, in der wir uns befanden. Auch Leandro Perea mochte eingesehen haben, dass es ein Glück war, dass ich Damián Dagua kannte. Sonst hätten wir vielleicht immer noch im Schlamm hinter dem Sattelschlepper gestanden und hätten im besten Fall, unserer Autos beraubt, den Weg ins nächste Dorf zu Fuß antreten können. Im schlechtesten Fall wären wir jetzt tot. Allerdings, wenn diese bewaffnete Bande und ihr Major Damiáns Namen kannten, dann bedeutete das auch, dass Damián irgendeine Größe in diesen Kreisen war. Daran führte kein Weg vorbei.
    Ein Schlagloch

Weitere Kostenlose Bücher