Der Ruf des Kolibris
meine.
»Damián!«
Was ein Ruf hatte werden sollen, missriet mir zu einem Flüstern. Aber der Fotograf sah mich. Vielleicht hatte mein abruptes Innehalten seine Aufmerksamkeit erregt. Er sagte etwas, und der Indio vor ihm drehte sich um, nicht hektisch, aber schnell.
Damián schien nicht einmal überrascht. Aber ich erschrak zutiefst. Ich hatte vergessen, wie schön sein Gesicht war, wie scharf sein Blick, wie dunkel seine Augen, wie süß seine Lippen. Ein Lächeln zuckte in seinen Mundwinkeln. Doch es verlosch im nächsten Moment. Sein Blick löste sich von mir und suchte den Platz ab. Zwischen seinen Brauen war eine steile Falte erschienen. Reserviertheit und Wachsamkeit beherrschten seine Gesichtszüge.
»Entschuldige«, sagte ich. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass ich ihm lästig fiel, zumindest aber erhebliche Probleme bereiten würde mit dem, was ich ihm gleich erzählen musste.
Er richtete seine schmalen schwarzen Augen wieder auf mich. »Wofür?«
Seine Stimme rann mir in die Seele wie Honig. Es war, als kostete ich erneut etwas, von dem ich schon wusste, wie gut es mir tat, und das mich dennoch überraschte, weil es noch besser war, als ich es in Erinnerung hatte. Er hatte nur ein Wort gesagt, und das mit gerunzelter Stirn, doch ich stand da wie überwältigt, zitternd vor Freude und Entsetzen, vor Scham und Begierde. Mein Körper erinnerte sich an seine Hände und seinen Körper, an seine kräftigen Arme, die mich umfangen hatten, als wir uns auf dem Diplomatenball hinter der Stellwand der Cafeteria im obersten Stockwerk des Bolívar-Hochhauses geküsst hatten. Ich hätte auf der Stelle sterben oder ihm in die Arme fallen mögen. Beides ging nicht.
»Wo kommst du auf einmal her?«, fragte ich. »Ich habe auf dich gewartet.«
Er zog die Brauen hoch.
Es war, zugegeben, nicht besonders logisch. »Du bist in großer Gefahr. Sie wollen dich töten!«, setzte ich hinzu, um das Maß der Unlogik vollzumachen. »Ich meine, Major Antonio und seine Leute! Er wartet da hinten in der Gasse.«
Damián nickte.
Unbegreiflicherweise begriff er sofort. Er wandte sich dem Fotografen zu, verabschiedete sich von ihm, nahm mich am Ellbogen und führte mich, ohne sich nach der Gasse umzublicken, in der Don Antonio vermutlich noch immer stand und uns beobachtete, in die entgegengesetzte Richtung, hinüber zum Portal der Kathedrale.
»Ich war im Büro des CRIC«, sprudelte es aus mir hervor, »und habe mit Rocío gesprochen.«
»Ich weiß. Ich komme gerade von dort. Sie hat mir gesagt, dass du mich suchst. Ich habe gerade den Fotografen gefragt, ob er dich gesehen hat. Gilberto sieht alles.«
»Aber Rocío hat doch gesagt ...« Ich kapierte gar nichts. »Sie hat mit deinem Onkel Gustavo telefoniert. Niemand wusste, wo du bist. Wieso bist du doch da? Es hieß, du seist bei deiner Schwester in den Bergen. Mein Vater ist auch hier und wir wollen ...« Ich stoppte, denn ich konnte mir kaum vorstellen, dass ihn die Tatsache erfreute, dass auch Elena und ihr Vater Leandro Perea, El Gran Guaquero, mit von der Partie waren.
Ein amüsiertes Lächeln zuckte in seinem Gesicht. »Ganz schön clever von dir, das Büro des CRIC aufzusuchen und dort nach mir zu fragen.«
Ich fühlte mich geschmeichelt. »Wie hätte ich dich sonst finden sollen?«
Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Du gibst nie auf, was?«
»Oh, nein, so ist das nicht gemeint! Ich ... ich respektiere deine Entscheidung. Ich ... ich laufe dir nicht hinterher. Dass ich hier bin, war nicht beabsichtigt. Außerdem, woher hätte ich wissen sollen, dass du auch hier bist? Es war eine Notlüge, sonst wären wir ...«
»Jasmin!«, sagte er sehr leise, aber bestimmend. »Beruhige dich. Ich höre dir zu. Aber du musst mir alles der Reihe nach erzählen. Sonst verstehe ich gar nichts. Und zunächst müssen wir hier weg.«
Er nahm mich am Arm und führte mich hinein in die Kirche. Drinnen war es kühl und dämmrig und roch nach Weihwasser und Kerzen. Viel Gold und viel Weiß beherrschten das Kirchenschiff; die Säulen und Arkaden waren von barocken Schnörkeln überwuchert. Der Chor bestand aus einer gänzlich vergoldeten Wand, in deren Nischen Heilige standen. Auch wenn die Besucher nicht nur aus frommen alten Frauen bestanden, sondern auch aus Touristen, war es dennoch still. Und Antonio würde es niemals wagen, uns hier mit Waffengewalt aufzustöbern. Nicht in einer Kirche. Damián zog mich in eine der knarrenden Bänke, setzte sich und wandte sich mir zu,
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