Der Ruf des Kolibris
darüber lustig machten, dass Damián nicht immer gleich Worte in dieser Sprache einfielen.
»Er ist in Bogotá aufs Gymnasium gegangen«, erklärte uns die Tante voller Stolz. »Er wird einmal ein großer Politiker. Vielleicht wird er sogar Präsident unseres Landes werden und dann werden wir alle in Frieden und Freiheit leben.«
Damián winkte ab und zischelte etwas auf Nasa Yuwe , was ziemlich verärgert klang. Dann wandte er sich an uns, hauptsächlich an Leandro, und erklärte: »Es ehrt mich, dass meine Familie an mich glaubt. Aber sie überschätzt mich.«
Leandro lächelte und hob den Blechbecher mit dem Wasser aus dem Fluss, das in einem Plastikkanister an der Hauswand zum Nachschenken bereitstand. »Auf den künftigen Präsidenten von Kolumbien. Meine Stimme hast du, Junge!«
Einen Moment lang war es ganz still am Feuer. Auch ich hatte überlegt, ob in Leandros Worten Ironie oder Spott zu hören gewesen war, hatte aber nichts dergleichen erkennen können.
»Wir würden deine Minen verstaatlichen, Leandro!«, warnte Damián, ebenfalls lächelnd.
»Von mir aus. Ich habe genug verdient. Solange ihr nicht anfangt, die Reichen im Land abzuschlachten oder nach Amerika zu verjagen. Aber dazu bist du wohl zu klug, Damián. Du weißt, dass eine neue Regierung des Volkes auch Industrie, Investoren und Leute mit Geld braucht, um Wohlstand zu schaffen, hm?«
»Aber ihr müsstet ordentlich Steuern zahlen.«
»Wenn wir sicher wüssten, dass sie den Armen zugutekommen und nicht in die Taschen der Politiker wandern, dann zahlen wir gern Steuern.«
»Sollte ich jemals Präsident werden«, antwortete Damián lächelnd, »dann werde ich persönlich bei dir klingeln und dir den Steuerbescheid überreichen.«
Leandro lachte. »Ich werde dich erwarten.«
Mit einem Mal war die misstrauische Anspannung der letzten Stunden gewichen. Offenbar hatten die beiden Kolumbianer unter Männern geklärt, dass der eine den anderen nicht als Geisel nehmen würde und der andere den einen nicht als Verbrecher betrachtete.
El Gran Guaquero bot uns Zigaretten an, aber nur Maria nahm eine. Dann zündete er sich selbst entspannt eine an. Die Mädchen sprangen auf und holten Musikinstrumente. Alejandra kam mit einer Klarinette und Ana mit einer Tiple und einer Bandola, beides gitarrenähnliche Zupfinstrumente in gewagten Formen und mit vier bis fünf Saiten. Die Bandola überreichte sie Damián. Clara bekam ein Chucho in die Hand gedrückt, ein mit Samen gefülltes hohles Holz.
Sie und ihre Tante Maria erklärten uns, dass Musik bei den Indígenas eine große Rolle spiele. Es gebe einige Dörfer, in denen jedes Kind ein Instrument spielte, Geige, Cello, Konzertgitarre. »Da spielt mancher Zehnjährige schon Mozart und Chopin«, sagte Clara lächelnd.
»Sie haben vermutlich viel Zeit zum Üben«, bemerkte mein Vater. »Kein Fernsehen, keine Computer ...«
»Wir sind sowieso gut in Musik!« Elena zählte rasch kolumbianische Musiker auf: Juanes, Shakira, die Rapper Sociedad FB7 aus Medellín und weitere Namen, die ich nicht behalten habe.
Ana, Alejandra, Clara und Damián spielten erst ein paar Hits, bei denen auch Tante Maria vergnügt mitsang, dann Folklore. Schließlich spielten sie eine Guabina, den Tanz der Liebe, der uns atemlos machte. Zumindest mir blieb die Luft weg. Ich war leider nicht sonderlich musikalisch, mein Traum, ein Instrument zu beherrschen und damit andere zu faszinieren, würde sich nie erfüllen. Ich hatte meine Versuche, Gitarre zu spielen, bald zugunsten von Reitstunden aufgegeben.
Aber Damián beherrschte sein Instrument. Seine Linke sprang das Griffbrett hinauf und hinunter, seine Rechte hüpfte locker über die Saiten. Er war hoch konzentriert und hatte dennoch Zeit, seinen Cousinen und seiner Schwester einen Blick oder ein Lächeln zu schenken. Die Musiker bildeten eine eingeschworene Gemeinschaft voll Vergnügen und Lust am Spiel. Die Musik schwang sich empor in die Nacht. Mir schien, als hallte sie in den Bergen wider.
»Schau, die Sterne!«, wisperte mir Elena zu. Der Himmel war auf einmal klar und von Myriaden von Sternen übersät. Darin hing wie eine Wiege die Mondsichel.
Aber ich hatte keine Augen für die Schönheiten des Himmels. Ich konnte meinen Blick nicht von Damián lassen. Wieder offenbarte er mir eine neue Seite von sich. Ich hatte ihn zuerst als Gärtner gesehen und für einen Dieb gehalten. Dann war er mir im Smoking begegnet und hatte ausgesehen wie ein wohlerzogener Student. Heute
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