Der Ruf des Kookaburra
Omen«, nuschelte er.
»Oder ein letzter Gnadenerweis, kurz bevor wir sterben müssen.« Emmas Gelassenheit war restlos dahin, die durchwachte Nacht mit ihren bangen Gedanken forderte ihren Tribut. »So was wie eine besonders schmackhafte Henkersmahlzeit.«
»Ihr seid schon komisch«, meldete sich Birrinbirrin zu Wort. »Was hat denn die Sonne mit unserem Vorhaben zu tun? Sonnenfrau zündet ein Feuer an. Das sehen wir als Strahlen der Morgendämmerung. Und das Morgenrot kommt daher, dass Sonnenfrau ihren Körper mit Ockerstaub pudert. So einfach ist das. Mit Gnadenerweisen oder Omen hat das überhaupt nichts zu tun.«
»Tja, wir Weißen sind eben abergläubisch«, spottete John.
Jetzt ging das schon wieder los!
»Bevor ihr zwei Gockel anfangt zu streiten, machen wir uns lieber auf den Weg«, sagte Emma genervt.
Birwain nickte. »Und das am besten sofort. Es wird Zeit, dass ihr eurem wahren Gegner ins Auge blickt. Die Fladen, die Emma eingepackt hat, essen wir unterwegs.« Er erhob sich mühsam und stellte sich neben Sirius. Erwartungsvoll blickte er zwischen dem weißen und dem schwarzen jungen Mann hin und her. »Na los! Wer von euch Helden hilft mir beim Aufsteigen?«
Emma betete im Stillen, dass sie harmlos genug aussahen, um nicht das Misstrauen von Oskars Hirten und Wächtern zu wecken. Zwei Schwarze und zwei Weiße, die sich auf einem Hengst und einer Stute drängelten, waren zwar kein alltäglicher Anblick, aber gefährlich wirkte ihre kleine Gruppe wohl nicht. Hoffentlich.
In einem weiten Bogen ritten sie an den Herden vorbei, immer in die Richtung, in der John Oskars Station vermutete.
An besagtem Abend auf dem Fest in Warwick hatte Oskar den Engländer in bierseliger Großzügigkeit eingeladen, ihn zu besuchen, und ihm dabei die ungefähre Lage seiner Station beschrieben. Emma hoffte nur, dass John nicht ebenso bierselig gewesen war und seine Erinnerung einigermaßen zuverlässig.
Sie erblickte mehrere Hirten, Männer in schmutzigen Hosen und groben, am Hals offenen Hemden, die mit Hilfe ihrer konzentriert hin und her rasenden Hunde die Schafe aus den Hürden trieben. John erklärte ihr, dass immer drei- bis vierhundert Tiere, entweder nur Schafe oder nur Widder, eine Herde bildeten und dass die Herden unter Tags in verschiedene Richtungen getrieben wurden.
»Woher weißt du das alles eigentlich?«, fragte Emma verwundert.
John zuckte die Schultern. »Ich bin viel herumgekommen, das habe ich dir doch erzählt. Wenn man sich für die Menschen interessiert, die einem begegnen, erfährt man eine Menge über sie. Und nebenbei auch über das, womit sie sich beschäftigen.«
Emma fand, dass John sich für die schwarzen Menschen, unter denen er seit Monaten lebte, herzlich wenig interessierte, ausgenommen Nowalingu. Doch sie sprach den Gedanken nicht aus. Es nützte ja nichts: John würde niemals so werden wie Carl. Nie würde er den Schwarzen mit der gleichen Hochachtung, der gleichen respektvollen Neugier begegnen, wie Emmas Ehemann es getan hatte – als Forscher, als Mensch und als Freund.
Ich komme, Carl. Bald bin ich da.
Ihr Versprechen, nur halb bewusst, trieb sie vorwärts. Sie wandte sich von der blökenden Menge ab und drängte Princess in einen leichten Galopp. Sie durften nicht trödeln, sondern mussten so schnell wie möglich zu Oskar. Wo auch immer in dieser trügerisch sanften Hügellandschaft er auf sie wartete: Es war höchste Zeit.
Oskars Land war riesig, und nicht nur Emma verfluchte den Reichtum der Frau, die er geheiratet hatte.
»Wir hätten die Hirten fragen sollen, wo sich das Gehöft ihres Herrn befindet«, sagte sie verdrossen zu John. »Hinter jedem Hügel erwarten wir es zu sehen, aber immer erstrecken sich die nächsten Hügel dahinter, noch mehr Hürden, noch mehr Schafe. Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu! Oder reiten wir im Kreis? Diese verdammte Station muss doch irgendwo sein!«
»Australien ist groß, und die Ländereien der Stationsbesitzer sind ausgedehnt«, erwiderte John belehrend.
Als er ihren ärgerlichen Blick auffing, grinste er. »Würde es dich trösten, wenn ich dir sagte, dort ist es?«
Sie kniff die Augen zusammen, und tatsächlich: Am Horizont zeichneten sich Hütten, Ställe und ein großes Gehöft ab.
Ein Schauder lief Emma über den Rücken, sie spürte Erregung und unvermutet aufwallende Angst. Da war es also: Oskars Reich.
»Irgendeine Idee, wie wir vorgehen sollen?«, fragte John beiläufig. »Du kannst ja schlecht auf ihn
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