Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)
nebenan. Strike sah, wie der Bildschirm aufleuchtete, sobald Bristow die Maus bewegte. Über der makellosen Ausgehuniform lächelte Agyemans offenes Gesicht ihn süffisant an.
»Oh mein Gott«, keuchte Bristow.
Er kehrte zu Strike zurück, ließ sich wieder in den Stuhl sinken und starrte den Privatdetektiv mit großen Augen an. »Ich … Ich glaube das einfach nicht.«
»Das ist der Mann auf den Aufnahmen der Überwachungskameras«, sagte Strike, »der kurz nach Lulas Tod vom Tatort wegrannte. Er war auf Heimaturlaub und wohnte währenddessen bei seiner verwitweten Mutter in Clerkenwell. Darum ist er zwanzig Minuten später auch die Theobalds Road entlanggelaufen. Er wollte nach Hause.«
Bristow holte hörbar Luft.
»Alle haben mich für einen Spinner gehalten!«, rief er. »Dabei habe ich mir verflucht noch mal nichts von alldem eingebildet!«
»Nein, John, Sie sind kein Spinner«, sagte Strike. »Wirklich nicht. Sie sind ein geisteskranker Psychopath.«
Durch das abgedunkelte Fenster drangen die Geräusche der stets wachen Großstadt, das Rumoren und Lärmen von Menschen und Maschinen. Der einzige Laut jedoch, der in dem Zimmer hervorgebracht wurde, war Bristows stockender Atem.
»Verzeihung?«, fragte er geradezu lächerlich höflich. »Was haben Sie eben gesagt?«
Strike lächelte ihn an. »Ich sagte, Sie sind ein geisteskranker Psychopath. Sie haben Ihre Schwester umgebracht, sind damit durchgekommen und haben mich dann gebeten, ihren Tod noch einmal zu untersuchen.«
»Das … Das meinen Sie doch nicht ernst.«
»Oh doch, und wie. Mir war von Anfang an klar, dass niemand so sehr von Lulas Tod profitiert wie Sie, John. Zehn Millionen, sobald Ihre Mutter den Geist aufgibt. Nicht zu verachten, wie? Vor allem weil ich glaube, dass Ihnen nicht viel mehr geblieben ist als Ihr Gehalt, auch wenn Sie noch so gern mit Ihrem angeblichen Treuhandvermögen angeben. Albris-Aktien sind heutzutage kaum mehr das Papier wert, auf dem sie gedruckt sind, oder?«
Bristow starrte ihn sekundenlang mit offenem Mund an; dann setzte er sich steif auf und blickte vielsagend auf die Campingliege in der Zimmerecke.
»Und das von einem abgerissenen Penner, der in seinem Büro schläft. Das ist doch lächerlich!« Bristow sprach betont ruhig und abfällig, aber sein Atem ging ungewöhnlich schnell.
»Ich weiß, dass Sie mehr besitzen als ich«, sagte Strike. »Aber wie Sie selbst so richtig bemerkt haben, sagt das nicht viel aus. Und ich kann mir immerhin zugutehalten, dass ich noch nicht so tief gesunken bin, das Geld meiner Klienten zu veruntreuen. Wie viel haben Sie von Conway Oates’ Konto abgezweigt, bevor Tony Ihnen auf die Schliche kam?«
»Ach, jetzt veruntreue ich auch noch Gelder?« Bristow lachte gekünstelt.
»Ja, ich denke schon«, sagte Strike. »Nicht dass mich das irgendetwas anginge. Es ist mir gleich, ob Sie Lula umgebracht haben, weil Sie das unterschlagene Geld ersetzen mussten oder weil Sie auf ihre Millionen scharf waren oder weil Sie Ihre Adoptivschwester abgrundtief hassten. Die Geschworenen wird das allerdings sehr wohl interessieren. Die sind immer ganz wild auf Motive.«
Bristows Knie federte wieder auf und ab.
»Sie haben ja völlig den Verstand verloren«, erklärte er mit einem weiteren gekünstelten Lachen. »Immerhin haben Sie selbst ein Testament gefunden, in dem sie mir überhaupt nichts, sondern alles diesem Mann da hinterlässt.« Er deutete ins Nebenzimmer, wo er Jonahs Bild betrachtet hatte. »Gerade haben Sie mir noch erzählt, dass genau dieser Mann an der Kamera vorbei zu Lulas Wohnung unterwegs war, und zwar in ihrer Todesnacht, derselbe Mann, der zehn Minuten später wieder an der Kamera vorbeirannte. Und dennoch beschuldigen Sie mich. Mich ! «
»Dass Jonah auf diesem Überwachungsband zu sehen war, wussten Sie schon, bevor Sie mich erstmals aufsuchten. Das hat Rochelle Ihnen erzählt. Sie war dabei, als Lula von Vashti aus Jonah anrief und sich mit ihm für spätabends verabredete; und sie hat auch das Testament bezeugt, in dem er als Alleinerbe eingesetzt wurde. Sie meldete sich bei Ihnen, erzählte Ihnen alles und erpresste Sie damit. Sie wollte eine eigene Wohnung und ein paar teure Kleider, und im Gegenzug versprach sie, niemandem zu verraten, dass Sie nichts von Lula erben würden.
Natürlich wusste Rochelle nicht, dass Sie Ihre Schwester umgebracht hatten. Sie glaubte, Jonah hätte Lula aus dem Fenster gestoßen. Und nachdem sie Lulas Testament gesehen hatte, in dem sie
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