Der Ruf des Kuckucks: Roman (German Edition)
süßliche Geruch von menschlicher Gehirnmasse schien Strike in die Nase zu steigen. Er hatte ihn schon oft gerochen. Den vergaß man nie.
»Ich bin wieder reingerannt«, fuhr Wilson fort. »Am Empfang standen jetzt beide Bestiguis; er hat versucht, sie die Treppe raufzuzerren, damit sie sich was anziehen konnte; und sie hat weitergekreischt. Ich hab sie aufgefordert, die Polizei anzurufen und den Aufzug im Auge zu behalten für den Fall, dass er versucht, damit runterzukommen. Dann hab ich mir den Generalschlüssel geschnappt und bin nach oben gerannt. Auf der Treppe war niemand. Ich hab die Tür von Lulas Wohnung aufgesperrt …«
»Haben Sie nicht daran gedacht … irgendetwas mitzunehmen, um sich verteidigen zu können?«, unterbrach Strike ihn. »Wenn Sie dachten, dort drinnen sei jemand? Jemand, der gerade eine Frau ermordet hatte?«
Es folgte eine Pause, die bisher längste.
»Hab nicht geglaubt, dass ich was brauchen würd«, erwiderte Wilson. »Hab gedacht, ich würde leicht mit ihm fertig, kein Problem.«
»Mit wem?«
»Mit Duffield«, sagte Wilson ruhig. »Ich dachte, Duffield wär dort oben.«
»Wieso?«
»Ich hab gedacht, er ist zurückgekommen, während ich auf der Toilette war. Er kannte den Zahlencode für die Tür. Ich dachte, er müsste nach oben gegangen sein, und sie hätte ihn reingelassen. Ich hatte sie schon früher streiten hören. Ich hab ihn wütend erlebt. Ja, ich dachte, er hätte sie vom Balkon gestoßen. Aber als ich in ihre Wohnung gekommen bin, war sie leer. Ich hab alle Räume durchsucht, ohne wen zu finden. Ich hab sogar die Schranktüren aufgemacht, aber da war nichts.
Die Fenster im Wohnzimmer standen weit offen. Dabei war die Nacht eiskalt, unter null Grad. Ich hab sie nicht zugemacht. Ich hab nichts angefasst. Bin wieder raus und hab den Rufknopf am Aufzug gedrückt. Die Tür hat sich sofort geöffnet; er war noch auf ihrer Etage. Er war leer.
Dann bin ich wieder runtergerannt. Die Bestiguis waren schon wieder in ihrer Wohnung, als ich an der Tür vorbeigekommen bin. Ich konnte die beiden hören; sie hat immer noch gekreischt, und er hat sie weiter angebrüllt. Ich wusste ja nicht, ob sie schon die Polizei angerufen hatten. Also hab ich mir mein Handy geschnappt und bin wieder rausgelaufen, zurück zu Lula, weil … Na ja, ich wollte sie nicht allein da liegen lassen. Ich wollte die Polizei von der Straße aus anrufen, damit sie auch wirklich kam. Aber dann war die Sirene zu hören, bevor ich auch nur eine einzige Taste drücken konnte. Die Copper waren echt schnell da.«
»Einer der Bestiguis hatte sie angerufen, stimmt’s?«
»Yeah. Er hatte angerufen. Zwei Copper mit ’nem Streifenwagen.«
»Okay«, sagte Strike. »Lassen Sie mich eins klarstellen: Sie haben Mrs. Bestigui geglaubt, als sie behauptet hat, sie habe in der obersten Etage einen Mann gehört?«
»Oh yeah«, sagte Wilson.
»Weshalb?«
Wilson starrte mit leicht gerunzelter Stirn über Strikes rechte Schulter hinweg auf die Straße hinaus.
»Sie hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Einzelheiten preisgegeben, nicht wahr?«, fragte Strike. »Nichts darüber, was sie gerade tat, als sie diesen Mann gehört haben will? Keine Erklärung dafür, warum sie um zwei Uhr morgens wach war?«
»Nein«, sagte Wilson. »Das hat sie mir nie erklärt. Es war die Art, wie sie sich aufgeführt hat, wissen Sie. Hysterisch. Sie zitterte am ganzen Leib. Sie hat immer wieder gesagt: ›Dort oben ist ein Mann, er hat sie vom Balkon gestoßen!‹ Sie war echt verängstigt. Bloß dort oben war niemand, das schwöre ich beim Leben meiner Kinder. Die Wohnung war leer, der Aufzug war leer, das Treppenhaus war leer. Er kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben?«
»Die Polizei war also da«, sagte Strike und kehrte in Gedanken auf die dunkle, verschneite Straße und zu der zerschmetterten Toten zurück. »Wie ging es weiter?«
»Als Mrs. Bestigui aus ihrem Fenster den Streifenwagen sieht, kommt sie mit ihrem Mann an den Fersen im Morgenrock wieder runter; sie rennt auf die Straße in den Schnee raus und schreit den Beamten zu, dass ein Mörder im Haus ist. Ringsum wird jetzt überall Licht gemacht. In den Fenstern sind Gesichter zu seh’n. Die halbe Straße ist aufgewacht. Leute kommen auf die Gehwege raus.
Einer der Copper ist bei der Leiche geblieben und hat über Funk Verstärkung angefordert, während der andere mit uns – mit den Bestiguis und mir – wieder reingegangen ist. Er hat die beiden aufgefordert, in
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