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Der Ruf des weißen Raben (German Edition)

Der Ruf des weißen Raben (German Edition)

Titel: Der Ruf des weißen Raben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanna Seven Deers
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den Fluss zurück. Das Wasser bewegte sich nicht, als sie es durchschritt. Kurz darauf stand sie wieder an der Stelle, wo Runa sie entdeckt hatte und wo eigentlich der mannshohe Fels hätte stehen sollen.

K APITEL 28

Botschaft
    R una vernahm den leisen Schlag eines Paddels und löste ihren Blick von der Weißen Vogelfrau. Sie erspähte eine Gestalt in einem Kanu, das von der Mitte des Flusses aus auf sie zusteuerte.
    Gerade wollte Runa ein warnendes Wort an die Weiße Vogelfrau richten, als sie lächelnd feststellte, dass diese verschwunden war. An der Stelle im Wasser stand wieder der mannshohe Felsen.
    Runas Herz empfand eine seltsame Leere. Gleichzeitig fühlte sie sich wie neugeboren. Die Begegnung mit der Weißen Vogelfrau hatte ihr Zuversicht und neue Energie geschenkt. Sie hatte ihr Ziel fast erreicht. Sie hatte den Talisman zurückbekommen. Sie hatte das Dorf vor den Angreifern geschützt. Sie saß zwar noch immer hier, auf der anderen Seite des Flusses, ohne Kleidung und Nahrung, aber auch diese Hürde würde sie irgendwie nehmen.
    Runa blickte dem Kanu ruhig und gelassen entgegen. Sie wusste, dass die Person sie längst entdeckt hatte. Um wen mochte es sich handeln?
    Es blieb Runa nichts anderes übrig, als abzuwarten. Sie setzte sich auf den Sand und schlang ihre schlanken Arme um die Knie. Ihr langes, inzwischen halbgetrocknetes Haar fiel ihr wirr um die Schultern. Aufmerksam beobachtete sie das schnell näher kommende Boot.
    Schon bald konnte Runa erkennen, dass es sich bei der Gestalt um eine alte Frau handelte, und sie entspannte sich ein wenig.
    Der Sand knirschte, als das Boot das Ufer erreichte. Runa sah, dass die alte Frau, die es steuerte, sie freundlich anlächelte.
    Runa stand auf und hob grüßend die Hand.
    Die alte Frau erwiderte den Gruß, stieg aus und zog ihr Kanu aus dem Wasser auf den kleinen Strand. Runa bemerkte, dass es genauso gefertigt war wie die Boote der Krieger, es war nur viel kleiner.
    Runa blickte wieder auf die alte Frau. Sie trug einen geflochtenen Rock und einen passenden Umhang. Runa konnte nicht erkennen, aus welchem Material sie hergestellt waren, sie war sich aber sicher, dass es sich weder um Wolle noch um Leder handelte.
    Runa wünschte sich, dass sie selbst auch wenigstens einen Rock trüge, um nicht den Eindruck völliger Mittellosigkeit zu vermitteln. Aber die Geister hatten es anders geplant. Also straffte sie den Rücken und hob das Kinn. Ihr Stolz war alles, was ihr geblieben war.
    Die fremde Frau musste sehr alt sein. Das markante Gesicht mit den hohen Wangenknochen war von unzähligen Falten bedeckt, und ihr langes Haar, das sie offen trug, war weiß und dünn. Doch ihre Haltung verriet Stolz und Zähigkeit, und ihre Augen strahlten Respekt, Freundschaft und Weisheit aus.
    »Ay’mut«, sagte die alte Frau und deutete auf sich.
    »Runa«, entgegnete Runa und legte eine Hand auf ihre Brust.
    »Willkommen, Runa«, sagte Ay’mut, und Runa war überrascht, dass sie sie verstand. Der Dialekt, den Ay’mut sprach, war dem der Seefahrer, mit denen Runa über das Meer gefahren war, sehr ähnlich.
    »Ich fühle mich geehrt«, antwortete sie.
    Ay’mut lächelte freundlich.
    »Ich habe auf dich gewartet«, sagte sie. »Seit langer, langer Zeit. Aber zuerst …« Sie beugte sich über das Kanu und holte etwas daraus hervor. »Das ist für dich.« Sie hielt Runa einen geflochtenen Rock entgegen, der ihrem eigenen glich.
    »Ich danke dir«, antwortete Runa und legte das Kleidungsstück an. Der Rock fühlte sich weich an auf ihrer Haut und sehr geschmeidig, genau wie Wolle oder Leder.
    »Woraus ist er gemacht?«, fragte sie.
    Ay’mut deutete auf den krummen Baum, der auf das Wasser hinausragte. »Aus der inneren Rinde der Zedern«, erwiderte sie. »Warte einen Augenblick«, setzte sie hinzu und holte einen Korb aus dem Kanu, der auch aus Zedernrinde gefertigt und mit einem Deckel verschlossen war. Sie ließ sich im Sand nieder.
    »Setz dich zu mir.« Sie sah Runa aufmerksam an. »Ich wusste, dass ich dich heute hier finden würde«, sagte sie schließlich. »Ich hatte einen Traum, der mir von deiner Ankunft erzählt hat.«
    »Von oben, vom Wasserfall aus, habe ich in der Ferne die Feuer eines Dorfes gesehen. Stammst du aus diesem Dorf?«, wollte Runa wissen. Sie versuchte, sich ihre Aufregung nicht anmerken zu lassen.
    »Ja, ich bin die Medizinfrau des Dorfes«, erwiderte Ay’mut mit sanfter Stimme. »Ich bin heute Morgen mit dem Kanu aufgebrochen, um dich zu

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