Der Samenbankraub: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)
war?«
»Das schon, nur – er hat doch so gut wie kein Vermögen gehabt, als er Präsident wurde. So habe ich es zumindest gelernt.«
»Ja, als er es wurde!« Die Bachstelze schmunzelte. »Und seine Nachkommen haben das Vermögen fleißig vermehrt. Und ich bin die letzte der Johnsons. Leider. Unser Zweig wird aussterben.«
Timothy konnte sich die Bachstelze auch schlecht als Mutter vorstellen. Nicht weil sie schon fast fünfzig zählte, sondern weil sie auf ihrem Weg buchstäblich durch Blut und Schmutz gewatet war; ihr matronenhaftes Äußeres und ihr mütterliches Gehabe waren nur Maske. Timothy hatte von Augenzeugen gehört, wie brutal und grausam die Bachstelze sein konnte, und er fragte sich immer wieder, warum sie gerade ihn so wohlwollend behandelte.
»Wollen Sie mir gar nicht zum Commissioner gratulieren, Tiny?« fragte sie.
»Natürlich. Entschuldigen Sie bitte, Debby!« Timothy neigte ehrfürchtig den Kopf. »Das nächste Mal, denke ich, werden Sie mich als Gouverneur empfangen. Sie haben das Zeug dazu! Eine stolze und progressiv beschleunigte Karriere: zehn Jahre Polizeipräsident von Chicago, zehn Monate Detektiv-Chief von Illinois, jetzt noch zehn Wochen als –«
»Pst!« Die Bachstelze legte mit kokettem Lächeln den Finger auf die Lippen. »Nicht beschreien, Tiny!«
»Sind Sie etwa abergläubisch?«
»Sie etwa nicht?« fragte die Bachstelze zurück. »Womit wir beim Thema sind. Setzen Sie sich. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Nachher zeige ich Ihnen meine Gemäldesammlung.«
Der Kaffee war gut, die Whisky-Auswahl nicht schlechter. Timothy dankte, als die Bachstelze ihm einen »Old Finch« eingießen wollte; auch dafür sei es noch entschieden zu früh.
»Es ist fast Mittag«, rief die Bachstelze. »Ich habe Sie neun Stunden schlafen lassen, das dürfte wohl reichen. Oder sind Sie nicht gleich zu Bett gegangen?«
»Lassen Sie mich etwa beobachten?«
»Ich wollte nur wissen, wann Sie wiederkommen. Ich hatte bei den Bentleys angerufen, dort sagte man mir, Sie seien auf dem Weg nach Chicago.« Sie sah Timothy lauernd an. »Wo waren Sie eigentlich?«
Timothy machte unschuldige Augen und breitete die Arme aus. »Sie wissen doch –«
»Ja, ja, Ihre berühmte Diskretion. Man kann auch zu diskret sein, Tiny, zu den falschen Leuten und zum falschen Zeitpunkt. Was muß ich bieten, damit Sie mir verraten, wo die Mumie sich aufhält?«
»Nicht einmal Sie wissen das?«
»Selbst die Macht der NSA endet an den Inneren Reichen der Bigbosse, so heißt es.« Ihr Lächeln verriet, daß sie nicht daran glaubte. »Also, verraten Sie es mir?«
»Ich werde darüber nachdenken«, sagte Timothy. »Wenn, dann nicht hier.«
»Sie können getrost sprechen«, sagte die Bachstelze, »ich werde nicht abgehört.«
»Aber Sie könnten, aus Versehen natürlich, eine Aufzeichnung machen und mich damit in die Hand bekommen, nicht wahr? Ein indiskreter Detektiv ist erpreßbar. Oder erledigt. Ist das alles, was Sie von mir wollten?«
»Das war nur eine Frage am Rande. Sie haben sicher vom ›Orakel von Queens‹ gehört, der ›Queen of Queens‹.« 15
Timothy hatte keine Ahnung, wovon sie sprach. »Allein in unserer Stadt gibt es Tausende von Wahrsagern aller Schattierungen«, sagte er, »von Handlesern und Kartenschlägern bis zu Kybernetik-Astrologen und Computer-Futurologen; ich interessiere mich, ehrlich gesagt, nicht sehr für Okkultismus.«
»Das sollten Sie aber, Tiny, der Okkultismus ist eines der faszinierendsten Phänomene unserer Zeit: Je wissenschaftlicher die Welt, desto abergläubischer die Menschen, ein verblüffendes Paradoxon. Ja, wenn es nur die Underdogs wären, aber es scheint so, daß vor allem die Gebildeten von Jahr zu Jahr mehr dem Okkultismus anhängen.«
»In einer Welt, in der alles und jeder von Elektronengehirnen berechnet und erfaßt wird und doch immer wieder das Unvorhergesehene mit elementarer und unberechenbarer Gewalt einbricht, scheint mir das nicht verwunderlich.«
»Ja«, sagte die Bachstelze nachdenklich, »der Mensch sucht Gewißheit. Wer ist frei davon?«
»Vielleicht ist es eher Wahrheit, was die Leute suchen?« gab Timothy zu bedenken. »Es heißt ja auch ›Wahr‹sager! Vergessen Sie nicht, daß wir in einer Welt des Scheins leben, in der nichts so ist, wie es sich darbietet, und schon gar nicht so, wie es von ihm behauptet wird. Nehmen Sie einen beliebigen Satz, ob nun aus der Werbung oder den Nachrichten oder den offiziellen Verlautbarungen – können Sie,
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