Der Samenbankraub: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)
zweiten gemacht.«
»Zeit gewonnen, alles gewonnen«, antwortete Timothy lakonisch.
Der Große Bruder meldete sich kurz nach Mitternacht.
»Die Alarmstufe ist aufgehoben. Du kannst beruhigt sein, Tiny, es gibt keine Möglichkeit, Gedanken zu lesen. Definitive Auskunft des besten Gehirnexperten von DRAUSSEN. Sie wissen inzwischen auch, warum es theoretisch unmöglich ist, aber die Erklärung spare ich mir, ich habe sie selbst kaum verstanden. Das löst zwar nicht das Rätsel des Orakels, aber es befreit uns von dem Schrecken, der mir, ehrlich gesagt, mächtig in die Glieder gefahren war. – Hörst du noch zu, Tiny?«
»Ich denke nach«, antwortete Timothy.
»Du trinkst«, sagte der Große Bruder. »Ich tippe auf ›Old Finch‹.«
»Manchmal glaube ich, du kannst mich heimlich beobachten.«
»Ich habe nur geraten, aber ich kenne dich ganz gut.«
»Überhaupt nicht ein bißchen«, brummte Timothy, »außerdem ist das heute mein erstes Glas, und ich denke, auf den Schreck darf ich mir schon einen Schluck genehmigen.«
»Auf das Ende des Schreckens«, korrigierte der Große Bruder. »Von mir aus eine ganze Flasche. Hauptsache, du hast morgen einen klaren Kopf. Vergiß nicht, du mußt noch das Geheimnis der Queen herausfinden.« Anne lachte. »Schon um die Bachstelze nicht zu verärgern.«
Timothy trank nur noch ein zweites Glas. Dann ging er ins Bad und versenkte sich in die Vainity. Die Anspannung dieses Tages löste sich, dann schwanden ihm die Sinne, die Nerven verstummten, unbeschreibbare Leichtigkeit durchflutete ihn.
Er erwachte unter einem allumfassenden sanften Blaugrau. Töne tropften in die Stille, formierten sich zu einer zarten Melodie, rundum erwachten die Farben. Timothy lag in einem Meer von Blumen, auf einer Bergwiese, unter einem Himmel voller Lämmerwolken, an dem die Sonne aufging.
Timothy frühstückte gemächlich, dann setzte er sich zu Napoleon und diktierte ihm noch einmal alle Fakten über die »Queen of Queens«. Er war überrascht, wie oft er nicht von belegten Tatsachen, sondern von Vermutungen, ja von Vorurteilen ausgegangen war. Überrascht und bestürzt, wie er dem Großen Bruder gestand, als er ihn endlich erreichte.
»Ich habe den obersten Grundsatz meines Berufes sträflich vernachlässigt«, sagte er, »ich bin nicht unvoreingenommen an den Fall herangegangen, und wer von Vorurteilen ausgeht, darf sich nicht wundern, wenn er zu Fehlurteilen kommt. Ich bin von dem ersten und leider selten auch besten Gedanken ausgegangen: Für wen sammelt die Queen Informationen? Ich habe nie geprüft: Sammelt sie überhaupt welche?«
»Wie meinst du das, Tiny?«
»Wie ich gesagt habe. Sie sammelt keine Informationen. Sie ist überhaupt nicht an den Antworten interessiert, die man selbst auf seine Fragen stellt, nachdem sie einen hypnotisiert hat. Es genügt ihr völlig, daß ihre Kunden sie für allwissend halten. Ich hätte sie nur beim Wort nehmen müssen. Wie sagt sie doch jedem: ›Was heute und hier offenbar wurde, ist vergangen, sobald du den Raum verläßt.‹ Das ist das ganze Geheimnis der Queen!«
»Bist du sicher?«
»Ich war noch einmal bei ihr und habe es ihr auf den Kopf zugesagt, sie hat es schließlich zugegeben.« Timothy kicherte. »Und mir das Versprechen abgeluchst, ihr Geheimnis nicht zu publizieren.«
»Und die Bachstelze, was machst du mit der?«
»Die bekommt natürlich ihren Bericht. Aber wie ich sie kenne, wird sie ihn als ›streng geheim‹ klassifizieren. Heißt das etwa zu publizieren? Man soll mit einem Scharlatan nicht vornehmer umgehen, als er verdient hat. Das Wohlwollen der Bachstelze ist mir wichtiger als das aller Orakel dieser Welt. Ich bin nur wütend, daß ich uns so in Panik versetzt habe.«
»Niemand konnte vermuten, daß die Queen überhaupt keine Informationen haben will«, sagte der Große Bruder besänftigend. »Wir wissen doch, daß alle anderen Wahrsager Informationen weitergeben, ob nun an die NSA, die Polizeien, die Konzerne oder uns. Wer sollte schon auf einen so verrückten Gedanken kommen?«
»Ich«, sagte Timothy, »ich hätte es für möglich halten müssen. Es ist mein Job, alle Möglichkeiten zu durchdenken. Und ich hätte auf meinen gesunden Menschenverstand bauen müssen. Unser Vertrauen oder, besser, Mißtrauen in den unbegrenzten Fortschritt der Wissenschaften hat zuweilen schon wieder etwas von einem neuen Aberglauben: Wir sind geneigt, auch das Unmögliche für möglich zu halten.«
»Vielleicht hast du recht, Tiny,
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