Der Samenbankraub: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)
mißtrauisch wurde.«
»Warum erst bei Goodman? Warum nicht schon bei Paul Temple, dem zweiten Toten?«
McNamara streckte die Hand nach der Flasche aus und sah Timothy fragend an.
»Bitte, bedienen Sie sich«, sagte Timothy. »Ich mache mir wenig aus Portwein. Sie berauben mich also nicht.«
McNamara goß sich ein und nahm einen Schluck. »Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, warum er überhaupt mißtrauisch wurde und an Mord dachte. Gewiß, der Chef hat einen Riecher für das Außergewöhnliche, aber der hat ihn auch schon oft zum Narren gehalten. Temple bekam Milzbrand. Eine seltene Krankheit, die beim Menschen so gut wie nie vorkommt, aber im Fall von Temple wiederum nicht so verwunderlich ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Temple war der Chef der Entwicklungsabteilung, und in der wird mit allen möglichen Bakterien, Bazillen und Viren gearbeitet. Dort entwickelt man Impfstoffe gegen Tierseuchen.«
»Ich denke, Milzbrand ist schon lange ausgerottet«, sagte Timothy.
»Die NATIONAL treibt Vorratswirtschaft und hat ein weitgefächertes prognostisches Programm. Wir wollen auf alle Eventualitäten vorbereitet sein. Wann immer eine Seuche auftritt, Mister Truckle, wir wollen die entsprechenden Medikamente so weit entwickelt haben, daß wir sofort mit der Großproduktion beginnen können.«
»Sie züchten also Erreger für Krankheiten, die es noch gar nicht gibt?«
»Und die Gegenmittel natürlich. Damit sind wir im Vorteil, wenn ein Erreger spontan mutiert und in der Praxis auftritt.«
»Es gab Gerüchte«, sagte Timothy, »daß eine gewisse Firma nicht erst darauf warten wollte, bis eine Seuche zufällig ausbrach –«
»Dummes Gerede«, wehrte McNamara ab, »ein Gerücht, das von der Konkurrenz in Umlauf gesetzt wurde, um eine staatliche Untersuchungskommission in die NATIONAL zu schicken. Der UNITED war es gelungen, zeitweilig die führenden Positionen in der Überwachungskommission für biochemische und pharmazeutische Produkte zu besetzen, und sie wollte diesen Vorteil ausnutzen, um Werkspionage zu treiben. Wir haben den Anschlag abgewehrt.«
»Aber Sie werden nicht leugnen wollen, daß es eine ganze Reihe solcher Vorfälle gegeben hat«, sagte Timothy, »wenn ich nur an den Waschpulverkrieg 22 denke!«
»Der von der UNITED ausgelöst wurde! Seit dem Bostoner Frieden sind jedoch derart wilde Unternehmungen ausgeschlossen.«
»Temple konnte sich also in der IPPI infiziert haben?« fragte Timothy.
»Das ist sogar sehr wahrscheinlich, und da wir niemanden in unsere Karten blicken lassen wollten, wurde Temple in seinem Haus isoliert und von den Medizinern der IPPI betreut, und Hankshaw, das ist der Arzt, der den Totenschein ausstellte –« McNamara zuckte mit den Schultern. »Ich kann es Dr. Hankshaw nicht nachweisen, aber ich bin sicher, daß er die Gewebeproben absichtlich so behandelt hat, daß der Erreger nicht mehr zu finden war. Sehen Sie, es gibt eine exakte Klassifizierung nach allen Untertypen. Wenn sich nun herausstellte, daß Temple sich mit einem Erreger infizierte, der bislang nur in den Labors der IPPI existiert, hätte Hankshaw, der für diesen Bereich verantwortlich ist, eine peinliche Untersuchung befürchten müssen. Was nun Humphrey Goodman betrifft – sein Fall ist zwar merkwürdig, jedoch nicht geheimnisvoll. Die Fragen, die sein Tod aufwirft, betreffen die Mediziner, nicht die Kriminalisten. Es war eindeutig eine Virusinfektion, nur daß der Zerfall der Zellen so rapide und total vor sich ging, daß sie nicht mehr in der Lage waren, die DNS des Virus zu reproduzieren. Die Wissenschaftler des ›Metropolitan Hospital‹ vermuten eine neuartige Mutation, und sie sind sicher, daß sie schnell wieder von allein verschwinden wird, da der Virus sich ja auf diese Weise nicht fortpflanzen kann.«
»Etwas völlig Neues?« fragte Timothy.
»Das ist das wirklich Interessante an Goodmans Tod.«
»Könnte es sein, daß jemand ihn heimlich als Versuchskaninchen benutzte?«
»Wir haben genügend Versuchskaninchen in der IPPI«, antwortete McNamara, »und weitaus besser geeignete.«
»Jemand könnte dennoch in die Versuchung geraten sein, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden«, meinte Timothy, »jemand, der Goodman haßte. Oder fürchtete.«
McNamara schüttelte den Kopf. »Die Idee ist mir auch schon gekommen, aber es gibt keine Anzeichen dafür. Goodman war ein brillanter Gelehrter, aber zugleich ein Trottel, ein Muster an Gutmütigkeit und Hilfsbereitschaft. Glauben Sie mir,
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