Der Sandner und die Ringgeister
Vloc-Protokoll vom Schreibtisch, schaut kurz in aufgerissene Glubscher, dann ist sie schon draußen bei der Tür.
Es mag vereinzelt vorkommen, dass ein ungehaltener Zeitgenosse brüllt im Präsidium, wie ein brünstiger Esel, »ich war’s nicht!« oder inhaltlich Identisches. Eine Polizistin, die im Gang einen Schrei lässt, der die Lampen zum Vibrieren bringt, ist eher rar. Dafür darf sie sich von vielen neugierigen Augenpaaren begaffen lassen, Reality Show für Arme, bis sie endlich auf der Straße steht. Bewegung und Kippe, die einzige Mischung, die ihr weiterhilft.
Der Sandner hat sich eine Kontaktsperre auferlegt. Er wird heute nicht anrufen im Präsidium. Wahrscheinlich nicht.
Einen Eisbeutel hat er zwischen den Beinen, liegt auf der Couch und lauscht Billie Holiday, die mit großer Stimme ihrer verflossenen Liebe nachtrauert. Die Augen geschlossen, summt er die Melodie mit.
Heute Mittag ist er noch neben einer Leiche im Hotel Sammert gelegen, hat den muffigen Geruch vom Teppich eingesogen. Irreal, als wäre das einem anderen Sandner passiert, als tät er zwei Leben führen.
Das kennt er auch von Mördern, die von der Tat himmelweit weg sind, weggesperrt ins hinterste Kammerl haben sie das Erlebnis. Manchmal magst du nicht glauben, dass dieser brave Mensch, grad noch hat er die Oma über die Straße geleitet und die Katz gebusselt, Leute gemetzgert hat, als tät er den Radi für die Brotzeit aufschneiden.
Beim Lehnharter ist das auch so eine Sache. Heute früh hätte der Sandner die rechte Hand gegeben, wenn er den Bierpanscher am Schlafittchen gehabt hätte – jetzt schwankt er, ob er wirklich alles wissen will. Wem nützt es? Kreuzbrave Menschlein hat er im Verdacht. Und bei dieser speziellen Geschichte wär im wohler, wenn ein Täter abgrundtief böse sein könnte. Wie in den Schundstreifen, in denen der blutrünstige Alb aus der Hölle die Stiegen heraufstapft oder vom unbekannten Planeten auf ein Schlachtfest vorbeischaut und du ihn pulverisierst und dabei noch ordentlich derbleckst. Da braucht das Gewissen keinen Urlaub, und die üppige Maid ist inklusive.
Sein Handy holt ihn wieder auf den Boden. Lang hört er sich die Blues Brothers an, bevor er sich entscheidet, den Anruf entgegenzunehmen. Unterdrückte Nummer.
»Ja servus, Josef.«
Die Stimme kennt er, rau und dreckig wie – ja, wie in alten Zeiten. Der Wagner Lucky, Halbweltspieler und Ex-Sänger von »The Grattlers«.
»Wo hast du mei Nummer her, Lucky?«
»Die von deiner Dienststelle ham sie mir gegeben, freundliche Leut, ich hab gesagt, ich bin ein ganz alter, besonderer Freund – des stimmt doch, Joky?«
Nicht einmal der Aschenbrenner nennt ihn noch so. Abgelegt hat er den Spitznamen, wie ein kneifendes Gwand, das passt nicht mehr. Und die Kollegen hauen seine Nummer raus, wie die Telefonauskunft. Da wird er dreinschlagen, morgen. Aber der Lucky konnte schon immer äußerst überzeugend sein.
»Bist no dran?«
»Was willst?«
»Vielleicht wollt ich nur fragen, wie es dir geht. An harten Tag hast gehabt, hab ich mir sagen lassen.«
»War’s das? Gut geht’s mir, brauchst dir keine Sorgen machen.«
»Ja weißt, es wär schon optimal, wenn wir uns mal sehen könnten – möglichst zeitig.«
»Hast Stress im Gschäft? Vielleicht solltest umschulen.«
»Ah geh, ich bin sicher, ich könnte da was für dich tun – in deinem Gschäft.«
»Für mich – bei was?«
»Oiso?«
»Kommst halt auf der Dienststelle vorbei, kriegst auch einen Kaffee.«
»Du warst scho immer ein Gspassiger, Joky.«
»Also schön – treffen wir uns – morgen Abend, heut hab ich zu tun.«
»Im ›Summertimes‹ um halb neun? Wie in alten Zeiten. Bis dann, Joky.«
»Hoffentlich hast was Gscheites.«
Der Sandner ist Polizist geworden, weil er das Gefühl hatte, sich entscheiden zu müssen. Da gab’s nur die zwei Wege, nichts in der Mitte. Nicht Schlosser oder Postbote oder in einer Bank sitzen und die Leute damisch reden, bis sie glauben, sie fahren grad Kettenkarussell auf der Auer Dult.
Gut sein können hätte es damals, dass er Luckys Weg begangen hätte, viel gefehlt hat nicht. Vielleicht weil ihn gar nicht so viel unterscheidet von den Burschen, die er zur Strecke bringen will. Auf Augenhöhe. Nah dran. Er kann sich nicht einmal sicher sein, dass die Moral immer auf seiner Seite ist. Die ist ja auch eine Hure und geht mit dem ins Bett, der grad gewinnt im Spiel.
Eine halbe Stunde ist die Wiesner einfach rauchend durch die Gegend. Ziellos,
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