Der sanfte Kuss des Todes
Gedanke, den er im Kopf hatte, war, Hoyt zusammenzuschlagen.
Das war ein Fehler gewesen. Er hätte wie ein Profi mit der Situation umgehen müssen.
Er schluckte den bitteren Geschmack in seinem Mund hinunter. »Sharon sagte, du willst keinen Arzt.«
»Stimmt.«
»Bist du sicher, dass du in Ordnung bist?«
Sie seufzte. »Mir geht es gut. Ich habe nur ein paar Kratzer.«
Nur ein paar Kratzer. Das stimmte. Aber es hätte sehr viel schlimmer ausgehen können.
Jack vergrub seine Hände in den Jackentaschen und ging durch das Zimmer. Er war von einer Wut beherrscht, deren Kraft ihm Angst machte.
»Du schleppst da eine ziemlich dicke Knarre durch die Gegend, Frau Professor.« Er entdeckte ihre Handtasche auf der Kommode und deutete darauf. »Darf ich …?«
Sie nickte. »Nur zu.« Dann ging sie zum Toilettentisch und öffnete den Deckel von dem Eisbehälter. Sie warf ein paar Eiswürfel in einen Plastikbeutel.
Jack öffnete den Reißverschluss ihrer Handtasche. Sie war klein und elegant, aus weichem schwarzem Leder. Dass sie eine solche Riesenkanone darin herumtrug, würde man nie denken.
»Woher hast du den?«, fragte er und holte den Revolver heraus. Eine Ruger.357 mit einem langen Lauf.
»Von meinem Großvater.«
Er prüfte die Trommel. Geladen. »Dein Großvater heißt nicht zufällig Jesse James?«
Als sie nichts erwiderte, blickte Jack auf. Sie beobachtete ihn nervös dabei, wie er die Waffe in der Hand wog.
Er steckte sie zurück und legte die Handtasche wieder auf die Kommode. »Seit wann trägst du dieses Ding mit dir herum?«
»Seit drei Jahren.«
Er verschränkte die Arme. »Möchtest du mir sagen, warum?«
»Eigentlich nicht.«
»Hast du einen Waffenschein?«
»Ja.«
»Weißt du, wie man sie benutzt?«
»Ja.«
»Wer hat dir das beigebracht?«
»Mein Großvater.«
Jack gab sich alle Mühe, wirklich. Aber seine Wut hatte langsam den Siedepunkt erreicht. Er war stinksauer auf Hoyt und auf Fiona, vor allem aber auf sich selbst. Er hatte sie allein aus der Kneipe geschickt. Klar, sie waren hier in Graingerville, aber Arschlöcher gab es überall, wie Hoyt eben überzeugend bewiesen hatte.
Fiona trat auf ihn zu und hob vorsichtig ihre Hand. Sie berührte die Stelle über seiner Platzwunde und er zuckte zusammen.
»Wie wär’s mit einer Abmachung?«, sagte sie leise. »Ich erzähle dir von der Ruger, und dafür darf ich mich um dein Auge kümmern.« Ohne auf eine Antwort zu warten, nahm sie seine Hand und führte ihn zum Bett. Er ließ sich auf die Bettkante sinken und sah ihr schweigend zu, wie sie in einer kleinen Metallkiste auf der Kommode herumkramte. Sharon hatte offenbar seine Anweisung befolgt und Fiona einen Erste-Hilfe-Koffer dagelassen.
Fiona kehrte zu Jack zurück und legte ein paar Tuben und einen Eisbeutel auf das Nachttischchen. Dann rückte sie die Lampe zurecht, um besseres Licht zu haben.
»Ist das etwa eine Zahnbürste?«, fragte er mit gerunzelter Stirn.
»Ja.«
Sie nahm eine der Tuben, in der er irgendeine Salbe vermutet hatte, die sich jetzt als Zahnpasta entpuppte. Etwas davon drückte sie auf ihre Fingerspitze und verteilte es vorsichtig um sein linkes Auge, wo sich inzwischen ein Bluterguss zu bilden begann. Sie rieb die Zahnpasta vorsichtig in die Haut ein, dann legte sie ihre Hände um seine Wangen und hob sein Gesicht. Sie hatte sanfte Hände. Er betrachtete ihre Augen, während sie vorsichtig mit der Zahnbürste über seine Haut strich.
»Ist das eine typisch kalifornische Art, Veilchen zu behandeln?«
Sie lächelte, ohne den Blick von seinem Auge zu wenden. »Die Pfefferminze regt die Blutzirkulation an, so dass sich die Blutklumpen unter der Haut leichter auflösen. Dieser Effekt wird durch die Zahnbürste verstärkt.« Als sie zu der besonders empfindlichen Stelle über seinem Augenlid kam, hielt er die Luft an. »Mit ein bisschen Glück wird es morgen kaum geschwollen sein. Dann noch Abdeckstift drauf, und du kannst dich ohne weiteres in der Öffentlichkeit sehen lassen. Nur wegen der Pressekonferenz.«
Jack sah sie besorgt an. »Woher weißt du davon?«
Sie zuckte die Achseln. »Hab ich irgendwo aufgeschnappt.«
Er musterte ihr Gesicht. Aus irgendeinem Grund hatte sie sich in ihr Schneckenhaus zurückgezogen und ein »Bitte draußen bleiben«-Schild vor die Öffnung gehängt.
Er wurde einfach nicht schlau aus dieser Frau. Eben noch gab sie sich unterkühlt, und im nächsten Moment war sie wie ein Vulkan. Sie verabscheute Gewalt, aber sie trug
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