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Der Schaedelschmied

Der Schaedelschmied

Titel: Der Schaedelschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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ihm den Atem.
    Er hätte nie erwartet, dass es in Barlyn so viele Zwerge gab. Dicht an dicht schoben sie sich durch die Gänge zwischen den Buden, Imbissständen und Fahrgeschäften, eine zähe Masse vorwärtsdrängenden Zwergenfleischs. Die meisten waren mit der seltsamen Kombination aus grünen Oberteilen und ledernen Hosen angetan. Viele Männer trugen überdies breitkrempige Filzhüte, verziert mit einem wippenden Busch gebürsteten Tierfells, möglicherweise von der Waldroke oder einem anderen hässlichen Wildtier. Jorge hatte selten etwas Geschmackloseres gesehen, doch das fiel ihm nur am Rande auf.
    Was ihm weitaus deutlicher auffiel, waren die Millionen Augenpaare, die ihn anzustarren schienen, manch eines abweisend und voller Hass, die meisten jedoch voll ungläubiger Erheiterung, die sich nicht selten in lautem Lachen Bahn brach. Jorge war sich nicht im Klaren, was er als beleidigender empfand, doch seine Stimmung war prächtig, und er wollte sie sich nicht von den kleinwüchsigen, kleingeistigen Einheimischen vermiesen lassen.
    Alle paar Schritte spielte irgendwo eine Blaskapelle konservative, fröhliche Musik. Die primitiven, auf Gleichförmigkeit und endlose Wiederholungen angelegten Lieder vermischten sich mit der allgegenwärtigen Geruchsvielfalt zu etwas Größerem, etwas Wunderbarem. So ähnlich muss es im Himmel sein, dachte Jorge.
    Er kam an einer Art Schienenbahn vorbei, die ihre Fahrgäste mittels dampfgetriebener Loren in unangenehme Höhe hinaufbeförderte, um sie anschließend abrupt in ein tiefes Tal stürzen zu lassen. Er passierte ein Kuriositätenkabinett, in dem »außergewöhnliche Schrecklichkeiten, die Sie nie wieder ruhig schlafen lassen« zur Schau gestellt wurden.
    Unter der gewaltigen, alles überspannenden Zeltplane gab es außer den Buden auch noch weitere Zelte. Aus einem davon, größer als Jorges Lieblingskneipe daheim im Fassviertel, schallte lauter Gesang. Jorge erkannte die Worte wieder: »Was trägt mein Herz so schwer am Borkenbolt?« Eine witzige, simple Melodie, von Hunderten Betrunkenen aus voller Kehle gegrölt.
    Jorge trat an den Eingang und schlug die Plane zurück. Wie der darüber aufgespannte Himmel war auch sie blau-weiß gemustert. Im Inneren saßen huttragende Zwerge an primitiven Tafeln, zu lang, als dass man sie vom Eingang komplett hätte überblicken können. Am hinteren Ende, wo das Zelt gegen die natürliche Steinwand der Grotte stieß, gab es einen Tresen, an dem Bier aus gewaltigen Fässern gezapft wurde. Kräftige Zwerginnen in weißer Garderobe schoben sich zwischen den Reihen hindurch. Sie konnten zwölf Bierkrüge auf einmal stemmen oder auch zwei gegrillte Krügerschweinhälften – eine stattliche Leistung für jemanden, der kein Troll war. Zischte irgendwo eine Hand in die Höhe, war sofort eine dicke Zwergin zur Stelle und knallte ein neues Bier auf den Tisch.
    Jorge, eben noch hin- und hergerissen, ob er lieber einen Süßigkeitenstand voller Mandelbrecht und Kokuswatte überfallen oder sich schnell, ganz schnell, eine armlange Wurst von einer Grillbude einverleiben sollte, fasste einen spontanen Entschluss. Oder vielmehr fasste der Entschluss sich selbst.
    Unter massivem Einsatz beider Arme arbeitete er sich durch die Reihen, bis er auf einer der Bänke einen freien Platz fand.
    »Was darfs sein?«, fragte eine sofort neben ihm auftauchende Kellnerin. Sie war robust, beinahe kastenförmig, ihre behaarten Arme fast so dick wie ihre Unterschenkel. Ihr blondes, dichtes Haar war zu zwei Zöpfen geflochten, die seitlich des Kopfes abstanden.
    »Also, wenn ich es mir so überlege, dann hätte ich gern drei große Humpen Bier«, sagte Jorge. »Und eine Scheibe Krügerschwein. Oder vier Scheiben?« Er dachte kurz nach. »Kann ich auch ein ganzes halbes Krügerschwein bekommen?«
    Die Zwergin lachte. »Sie sind aus dem Kuriositätenkabinett, hab ich recht?«
    Jorge verspürte keine Lust, diesen Umstand richtigzustellen, nickte nur. »Was ist jetzt mit dem Krügerschwein?«
    »Sie können sogar ein ganzes Krügerschwein bekommen, wenn Sie möchten.«
    »Wir Trolle haben da ein Sprichwort, und es geht so: Das hört sich verflucht gut an! Also, fünf Bier und ein ganzes Krügerschwein.«
    »Kommt sofort.« Schon war die Bedienung wieder in der Masse aus stämmigen Leibern verschwunden.
    Jorge ließ den Blick über die Zwergenköpfe mit ihren Hüten und wippenden Fellbüscheln schweifen. Auf der rechten Seite des Zeltes gab es ein hölzernes Podest, eine

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